Bis in die Haarspitzen inspiriert. Lese wieder Arbeit und Struktur. Habe Herrndorfs Blog nicht mehr gelesen seit Daniels Tod.
Einige der Medikamente, Studien und Therapien kenne ich inzwischen aus den Facebook Posts meiner Schwester in und auswendig.
Es ist unheimlich, wie nah mein Leben dem von Herrndorf kurzzeitig gekommen ist. So vieles verstehe ich inzwischen, was damals nur unbestimmtes Grauen war.
N. fragt mich, warum ich so besessen bin von Herrndorfs Welt. Ich frage, besessen im Sinne von
- meinen zweiten Sohn nach Herrndorfs Freund zu benennen?
Oder besessen im Sinne von
- eineinhalb Jahre später Emails an Cornelius Reiber zu schreiben. Bin ich auf dem besten Weg dazu, Herrndorfs Freunde auf die Nerven zu gehen?
Passig hat mich nie gereizt. Ebenso Sascha Lobo. Aber Cornelius. Und Holm. Wie Nebenakteure in einem Roman die man ebenso mochte wie den Held.
Die Berlinbeschreibungen. Die Clique. Fußball am Abend. Eine Traumwelt. Immer wieder vergisst man das Glioblastom, vergisst man den Horror, weil das Leben so schön ist.
Frage mich oft, was Daniel gefühlt hat. Ob er je das Gefühl hatte, die letzten zwei Jahre waren die besten. Daniel wusste nichts von Herrndorf. Er war kein Leser. Und ich bezweifle auch, dass er dieses Buch bemerkt hatte, das ich in seinem Wohnzimmer gelesen habe. Daniel war in jeder Hinsicht der Anti-Herrndorf. Gläubig, Familienvater, Handwerker. Es hat ihn, denke ich, noch heftiger erwischt als Herrndorf: Konnte von Anfang an kaum mehr sehen, bald nicht mehr gehen. Ich frage mich wirklich, ob er als Kranker überhaupt noch Glücksmomente hatte.
Heute weiß ich, dass ich selber die letzten zwei Jahre emotional abgetötet war. Stumpfsinniges Leben in Angst. Habe das erste Jahr meines Sohnes verpasst, habe den Zauber eines neuen Zuhauses als bedrückend empfunden. Habe fast zwei Jahre nicht mehr lachen können, nicht mehr unbeschwert in der Sonne sitzen können. Ich war nur ein Angehöriger, aber es war die Hölle. Mir tut vieles so leid und es ist schrecklich, diese zwei Jahre verloren haben zu müssen.
Wie muss es dann Daniel erst gegangen sein. Ich meine, er ist tot. Ich darf wieder lebendig sein.
Herrndorf fragt sich in Arbeit und Struktur, ob er Todkranke ernst genommen hatte. Hatte er nicht. Und ich fürchte, ich auch nicht. Es muss schrecklich sein, von den anderen nur noch als Gespenst wahrgenommen zu werden.
Ich habe zwei Jahre gebraucht, bis ich Arbeit und Struktur wieder zur Hand nehmen konnte. Jetzt kann ich es nicht mehr aus der Hand legen. So viel Leben steckt dort drin. Ich will auch leben! Solange ich noch kann.
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