Donnerstag, 30. Januar 2020

Was Prien am Chiemsee mit Popliteratur zu tun hat

Benjamin von Stuckrad-Barre in Prien am Chiemsee


Benjamin von Stuckrad Barre und ich haben eine überraschende Gemeinsamkeit in unserem Lebenslauf. Dabei meine ich nicht, dass ich einige Jahre nur Bücher schreiben wollte, die sich lasen wie "Soloalbum". Oder dass in unseren beiden Romanerstlingen lebendige Hühner auf Sankt Pauli erworben werden. Noch besser, wir haben uns nur knapp verpasst und wären uns mit Sicherheit begegnet. Und zwar in Prien am Chiemsee, wo wir beide mehr oder weniger unfreiwillig einige Monate verbrachten. Ich lebte als Zivildienstleistender in der dortigen Jugendherberge. Benjamin von Stuckrad Barre, wie ich aus seinem "Panikherz" erfuhr, einige Meter weiter im Roseneck in der dortigen Klinik. Ich machte mit dem Rasta Zivi Mista Wicked meine ersten Erfahrungen mit weichen Drogen. Er versuchte zusammen mit Teenager-Mädchen mit Essproblemen von harten Drogen runter zu kommen. Ich schrieb wie ein Besessener und träumte davon, ein Schriftstellerstar zu sein. Er schrieb gar nichts. Er war schon ein Schriftstellerstar. Prien, das war eine seltsame Episode über die ich eines Tages schrieben wollte. Er, so durfte ich nun nachlesen, hat also schon über Prien geschrieben. 
Ich habe mir vorgenommen, nie wieder was von Stuckrad Barre zu lesen. Soloalbum war zu gut, das war genau das, was ich mir unter junger, wilder Literatur vorstellte. Panikherz als Hörbuch lasse ich aber gelten. Großartig gelesen. Großartig erzählt. Einfach großartig. 

Dienstag, 21. Januar 2020

Ende der Einsamkeit: Warum ich dank Benedict Wells wieder Schriftsteller sein will

Benedict Wells großartigster Roman


Benedict Wells ist ein älterer Schriftsteller, der Schnulzenromane schreibt. Dachte ich lange Zeit. Never judge a book by it’s cover. Die Jahre in denen ich darum rang, ein guter Schriftsteller zu sein, orientierte ich mich überwiegend an Wolfgang Herrndorf, Thomas Glavinic und John Green. Herrndorf lebt nicht mehr, Glavinic ist schon lange nicht mehr aufgetaucht und John Green ist weit weg. Benedict Wells, hörte ich immer wieder von geschätzten Autorenkollegen. Warum ich nicht Benedict Wells lesen würde? Ich versuchte es mit „Becks letzter Sommer“. Ich hatte noch immer den älteren Schnulzenautor im Kopf und mochte den Ton des Buches nicht. Nach fünfzehn Seiten weggelegt. Irgendwann stolperte ich über den extrem inspirierenden Blog eines Autors, etwas jünger als ich. Er schrieb über seine Liebe zu John Irving und wie die Lese-Erfahrung eines Irving-Romanes in ihm die Wunsch erweckte, selber Schriftsteller zu werden. Ich erinnerte mich daran, wie ich zu meinem 19. Geburtstag „Garp und wie er die Welt sah“ geschenkt bekommen hatte und wie mich das Buch mit einer Begeisterung für Literatur erfüllte, die ich bis dahin nicht für möglich gehalten hatte. Ich fand diesen jungen Schriftsteller ungemein sympathisch und fand mich in vielen seiner Sätze wieder. Tja, es war tatsächlich Benedict Wells. Dass er ursprünglich sogar aus München stammt und sich bewusst gegen seinen eigentlichen – ungemein berühmten – Nachnamen entschied, machte mir diesen jungen Mann so sympathisch, dass ich noch einmal „Becks letzter Sommer“ in die Hand nahm. Ich brauchte immer noch eine Weile, bis ich mit dem Ton und dem Hauptprotagonisten warm wurde. Aber als ich verstand, wie Benedict Wells arbeitet, begann mich die Geschichte mehr und mehr zu begeistern. Und das sei noch nicht einmal sein bestes Buch, wurde mir versichert. Nun ja, drei Bücher später bin ich endgültig zum Fanboy mutiert und ich fürchte, ich habe ein neues Autorenvorbild. Warum? Wegen Sätzen wie diesen: „Ich kenne den Tod schon lange, doch jetzt kennt der Tod auch mich.“ Ein Satz wie dieser beschreibt alles, wie und worüber ich schreiben möchte und muss. Ich habe die letzten Jahre am Abgrund geschrieben, vieles vom „Ende der Einsamkeit“ ist mir vertraut. Was ich noch nicht wusste ist, wie kann man diesen Abgrund in einem Buch festhalten? So festhalten, dass man das Buch trotz aller Abgründe abgrundtief liebt. So geht es also. So und nicht anders. Bevor ich den Tod kennenlernte, schrieb ich über Euphorie und verrückte Menschen und gelbe Wunderkerzen, die wie Feuerräder unter den Sternen explodierten. Das Zitat von Jack Kerouac kommt in jedem meiner Bücher bis heute in irgendeiner Form vor. Und auch Benedict Wells hat es in die „Einsamkeit“ eingewebt. Zutiefst glücklich weiß ich nun, dass es dort draußen doch noch einen Schriftsteller der Generation, der ich mich zugehörig fühle gibt, der in mir die absolute, bedingungslose Liebe zur Literatur entfacht. Ich werde weiter schreiben und hoffen, dass ich irgendwann auch nur ansatzweise an der Intensität dieses Romans kratzen darf. Und das einzige, das ich bedaure ist, dass ich nicht der einzige Mensch auf der Welt bin, der sein Talent erkannt hat. Dass Benedict Wells längst zu groß ist, als dass er seine Email-Adresse ins Netz stellt, damit hoffnungsvolle Nachwuchs-Autoren wie ich ihn um Rat bitten können. Aber man kann ja versuchen, ab sofort so lange über Benedict Wells zu schreiben, bis er es liest – oder jemand, der seine Kontaktdaten hat. Also melde Dich!