Ein Buch, das mein Leben verändert hat
John Irving im Bücherschrank |
Meine Mama hat mir jede Menge Literatur in die Hand
gedrückt. Selbst "Die Wand" hatte ich versucht zu lesen. Aber die
große Literatur langweilte mich, weder Schiller noch Max Frisch hauten mich vom
Hocker. Und für "Die drei ???" war ich zu alt. Damals las ich
begeistert Stephen King und Michael Crichton, dachte, dies sei
hochwertige Literatur.
Während meines Auslandjahres in den USA mühte ich mich mit
Henry David Thoreau und Arthur Miller ab, ohne aber ein wirkliches Gefühl für
sie zu entwickeln. Literatur blieb etwas, das Mühe machte und bei dem man
keinen Funken Freude empfinden durfte.
So blieb ausgerechnet mir, der schon früh den Wunsch
aussprach, ein Schriftsteller sein zu wollen, ausgerechnet die Türe Literatur
lange verschlossen.
Bis zu diesem 20. Geburtstag, als mir Uli Fuchs ein Buch von
John Irving in die Hand drückte. Ich weiß heute nicht mehr, wie sie auf meine
Geburtstagsfeier geraten war, noch was aus ihr wurde. Aber ihr Geschenk hat
mein Leben nachhaltig verändert.
"Garp und wie er die Welt sah", hieß der Roman.
Sie sagte, es ginge um einen jungen Mann, der Schriftsteller werden wolle. Und
sie hätte an mich gedacht, als sie es gelesen hat.
Also begann ich es ebenfalls zu lesen. Das Buch war, anders
als erwartet, leicht zu lesen. Es war nicht langweilig. Es war sogar spannend
und skurril. Und gleichzeitig öffnete es mir eine Welt, die mir gleichzeitig
bekannt und unbekannt war. Und sie beantwortete Fragen, die ich mir nie hätte
zu stellen wagen. Es ging um Sex, um Liebe, um Leidenschaft. Ein erstes Mal befand
ich mich im Leben eines Erwachsenen, das auch mein Leben hätte sein können. Es
wurden große Fragen behandelt, die mir allerdings nicht so fremd waren wie die
in John Steinbecks Romanen. Ich konnte Garp nachempfinden. Und in seinen
Gedanken bereitete er mich auf das vor, was noch kommen würde. Ich war gerade
zwanzig geworden, hatte keine Ahnung vom Leben und Angst vor der Zukunft.
"Garp und wie er die Welt sah", ließ auch mich die Welt anders sehen.
Und sie löste eine Lust auf Literatur in mir aus, wie ich sie nie für möglich
gehalten hatte: Man konnte Bücher schreiben, die gleichzeitig literarisch UND
unterhaltsam waren!
An diesem einen Buch mussten sich alle Romane die ich fortan
las, messen.
Und, zugegeben, es dauerte wieder viele Jahre, bis ich diese
bedingungslose Liebe für ein Buch, für das Werk eines Autors, erneut spürte. Es
waren später Wolfgang Herrndorf und Thomas Glavinic, deren Bücher ich
begeistert und verwundert las, als hätte ich nie zuvor ein Buch in der Hand
gehabt. Später waren es Haruki Murakami und zuletzt John Green, die mich mit
jedem ihrer Bücher verzauberten.
Zwischendurch hatte ich es immer wieder mit Thomas Mann
versucht (erst in späteren Jahren erfolgreich) oder mit Hermann Hesse, der
großteils ungelesen im Bücherschrank verstaubt.
Heute weiß ich, dass Literatur anstrengend sein kann. Zu
manchen Büchern wird man womöglich nie Zugang finden. Zu anderen in der
richtigen Lebensphase. Die der Deutschen sind von Natur aus eher spröde
und schwerfällig geschrieben, während die Amerikaner die Meister der
Leichtigkeit und Spannung in ihren Romanen sind.
Ich habe John Irving Jahre später noch das eine oder andere
Mal versucht, anzulesen. Er blieb mein Türöffner, ich blieb ihm nicht treu.
Dankbar bin ich dennoch für "Garp" und dafür, wie John Irving die
Welt sah. Und ich bin gespannt, wann ich das nächste Mal zufällig über einen
Autor stolpert, dem es erneut gelingt, meine Welt so im Mark zu erschüttern,
wie es John Irving damals gelungen ist.
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