Freitag, 7. September 2018

Life Changing Books: John Irvings "Garp und wie er die Welt sah"

Ein Buch, das mein Leben verändert hat


John Irving im Bücherschrank
Meine halbe Kindheit habe ich in einer Bücherei verbracht. Bücher waren immer ein Teil meines Lebens. So viel ich auch gelesen habe, ein "life changing book" war nicht darunter. Das bekam ich erst zu meinem 20. Geburtstag geschenkt. 
Meine Mama hat mir jede Menge Literatur in die Hand gedrückt. Selbst "Die Wand" hatte ich versucht zu lesen. Aber die große Literatur langweilte mich, weder Schiller noch Max Frisch hauten mich vom Hocker. Und für "Die drei ???" war ich zu alt. Damals las ich begeistert Stephen King und Michael Crichton, dachte, dies sei hochwertige Literatur. 
Während meines Auslandjahres in den USA mühte ich mich mit Henry David Thoreau und Arthur Miller ab, ohne aber ein wirkliches Gefühl für sie zu entwickeln. Literatur blieb etwas, das Mühe machte und bei dem man keinen Funken Freude empfinden durfte. 
So blieb ausgerechnet mir, der schon früh den Wunsch aussprach, ein Schriftsteller sein zu wollen, ausgerechnet die Türe Literatur lange verschlossen. 
Bis zu diesem 20. Geburtstag, als mir Uli Fuchs ein Buch von John Irving in die Hand drückte. Ich weiß heute nicht mehr, wie sie auf meine Geburtstagsfeier geraten war, noch was aus ihr wurde. Aber ihr Geschenk hat mein Leben nachhaltig verändert. 
"Garp und wie er die Welt sah", hieß der Roman. Sie sagte, es ginge um einen jungen Mann, der Schriftsteller werden wolle. Und sie hätte an mich gedacht, als sie es gelesen hat. 
Also begann ich es ebenfalls zu lesen. Das Buch war, anders als erwartet, leicht zu lesen. Es war nicht langweilig. Es war sogar spannend und skurril. Und gleichzeitig öffnete es mir eine Welt, die mir gleichzeitig bekannt und unbekannt war. Und sie beantwortete Fragen, die ich mir nie hätte zu stellen wagen. Es ging um Sex, um Liebe, um Leidenschaft. Ein erstes Mal befand ich mich im Leben eines Erwachsenen, das auch mein Leben hätte sein können. Es wurden große Fragen behandelt, die mir allerdings nicht so fremd waren wie die in John Steinbecks Romanen. Ich konnte Garp nachempfinden. Und in seinen Gedanken bereitete er mich auf das vor, was noch kommen würde. Ich war gerade zwanzig geworden, hatte keine Ahnung vom Leben und Angst vor der Zukunft. "Garp und wie er die Welt sah", ließ auch mich die Welt anders sehen. Und sie löste eine Lust auf Literatur in mir aus, wie ich sie nie für möglich gehalten hatte: Man konnte Bücher schreiben, die gleichzeitig literarisch UND unterhaltsam waren!
An diesem einen Buch mussten sich alle Romane die ich fortan las, messen. 
Und, zugegeben, es dauerte wieder viele Jahre, bis ich diese bedingungslose Liebe für ein Buch, für das Werk eines Autors, erneut spürte. Es waren später Wolfgang Herrndorf und Thomas Glavinic, deren Bücher ich begeistert und verwundert las, als hätte ich nie zuvor ein Buch in der Hand gehabt. Später waren es Haruki Murakami und zuletzt John Green, die mich mit jedem ihrer Bücher verzauberten. 
Zwischendurch hatte ich es immer wieder mit Thomas Mann versucht (erst in späteren Jahren erfolgreich) oder mit Hermann Hesse, der großteils ungelesen im Bücherschrank verstaubt. 
Heute weiß ich, dass Literatur anstrengend sein kann. Zu manchen Büchern wird man womöglich nie Zugang finden. Zu anderen in der richtigen Lebensphase.  Die der Deutschen sind von Natur aus eher spröde und schwerfällig geschrieben, während die Amerikaner die Meister der Leichtigkeit und Spannung in ihren Romanen sind. 
Ich habe John Irving Jahre später noch das eine oder andere Mal versucht, anzulesen. Er blieb mein Türöffner, ich blieb ihm nicht treu. Dankbar bin ich dennoch für "Garp" und dafür, wie John Irving die Welt sah. Und ich bin gespannt, wann ich das nächste Mal zufällig über einen Autor stolpert, dem es erneut gelingt, meine Welt so im Mark zu erschüttern, wie es John Irving damals gelungen ist. 

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