Sonntag, 9. September 2018

Lesung am Knallerhof in Güßhübel

Meine erste Lesung in Tracht.
Danke an Sonja Rathgeb für das Foto!

Meine erste Lesung am Güßhübel


Es gibt nichts schöneres, als wenn man vom Büro der Wirtschaftsförderung auf dem Privathandy angerufen und gefragt wird, ob man nicht in Kirchanschöring (seinem Heimatort) in Güßhübel (wo seine Vorfahren herkommen) am Knallerhof (dem magischsten Ort der Gegend) lesen möchte.
Ja! Ja! Ja! Schreit man in den Hörer. Nein! Nein! Nein!, schreit die Frau, an dem Tag sind wir doch auf eine Hochzeit eingeladen. Scheiß egal! Wenn sogar die Wirtschaftsförderung erkannt hat, wer der zweitbeste Schriftsteller Traunsteins ist und mich als Freiberufler fördern will, dann gibt es keine andere Antwort als JA!
Fesch gekämmt, in Tracht und mit einem hölzernen Herzerl am Revers fuhr ich direkt von der Trauung quer durch den gesamten Landkreis nach Güßhübel. Schon ab Voglaich fuhr ich mit meinem schnieken Hybrid-Auto an den bergauf pilgernden Fans vorbei. „Das ist ja der Bernhard!“, jubelten sie. Ich winkte jovial. Ich war spät dran. Hoffentlich wurden die Veranstalter nicht nervös, dass der Künstler noch nicht zugegen war.
„Wieder einmal steigt der talentierte Jungautor voller Hoffnung auf den endgültigen großen Durchbruch, aus seinem Auto und trägt eine Kiste voller Bücher, die er alle zu verkaufen gedenkt, zum Veranstaltungsort“, skizzierte ich, immer bei der Arbeit, gedanklich für meine Autobiographie.
Dann stand ich, mit meinem Bücherkarton unterm Arm, eine Weile verloren auf der Wiese des Knallerhofes herum und schaute zu, wie sich die Guten A-Band auf ihren Auftritt vorbereitete, Yvonne Liebl ihre vorzüglichen Speisen ihrer Esspedition kredenzte und Evi Dettl von Radio Buh mit ihrer Retro Kamera alle interessanten Leute fotografierte.
Als ich in meiner viel zu warmen Trachtenkluft zu Schwitzen begann und mein Magen knurrte, weil ich gerade das feudale Mittagessen auf der Hochzeit verpasste, setzte ich mich irgendwo in den Schatten und wartete auf Hinweise, wo die Lesung des Jahres stattfinden würde.
Inzwischen hatte ich erfahren, dass man eigentlich Franz Xaver Kroetz für den kulturellen Teil der Veranstaltung gebucht hatte, der aber keine Zeit hatte. Jemand in der Wirtschaftsförderung erinnerte sich, dass im selben Gebäude ein schräger Berufsberater arbeitete, der sich selber als Schriftsteller bezeichnete. Den könnte man doch mal fragen.
Als der offizielle Teil schließlich begann, wurde ich auch exakt so vorgestellt: Der Arbeitskollege aus den unteren Stockwerken, der aber nicht für die Wirtschaftsförderung arbeitet, sondern für die Agentur für Arbeit, hat zwei Bücher geschrieben, aus denen er jetzt vorlesen wird.
Der Arbeitskollege stand, immer heftiger schwitzend, daneben und murmelte kleinlaut ins Mikrofon, dass er doch heute ganz etwas anderes vorbereitet hätte. Beinahe hätte ich um Erlaubnis gefragt, ob ich den vorbereiteten Text auch wirklich vorlesen dürfe.
Aber da hatte ich längst das Mikrofon in der Hand und erinnerte mich daran, dass ich nicht nur der zweitbeste stellvertretende Teamleiter der Berufsberatung war, sondern auch Schriftsteller. Also wischte ich Schweiß und Zweifel beiseite und plärrte meinen Text von der Maria Bruckmüller so laut ins Mikrofon, dass ihn ebenjene auch noch zwei Häuser weiter, am Schladerer Hof, wo die 90-jährige Bruckmüller Maria damals lebte, sehr gut gehört hätte.
Hundert Zuhörer, die keine Chance auf Entkommen hatten – so eine große Lesung hatte ich seit Jahren nicht mehr. Genau genommen seit jener Veranstaltung, an der ich das letzte Mal den Text von der Bruckmüller Maria gelesen hatte: Der historische Verein Surberg hatte mich geladen und ich las im brechend vollen Wirtshaus Lauter die tragische Geschichte der Bruckmüller Maria, die das Fährunglück vom Waginger See überlebt hatte, vor. Der Auftritt war ein riesen Erfolg: Hunderte Menschen sahen mich gleichzeitig gerührt und bestürzt an. Blöderweise hatte es sich um eine Faschingsveranstaltung gehandelt und das maskierte Publikum war froh, als nach mir wieder Karl-Valentin Sketche aufgeführt wurden.
Nun las ich also für gut hundert Radlfahrer der Regio-Radltour 2018. Nach der Lesung diskutierte ich mit der stellvertretenden Leiterin des Ressorts Raumordnung, Kreisentwicklung und ÖPNV über die Tenglinger Verbindungen der Maria Bruckmüller. Und mit meiner Verwandtschaft über den Wahrheitsgehalt der Geschichte. Und mit einigen der Zuhörer, zu wem ich denn gehöre, was mein Hausname war und auf welchen Namen meine Eltern getauft waren.
Ich zögerte meine Rückreise zur Hochzeit noch etwas hinaus, weil ich darauf wartete, dass ich vom Regionalfernsehen und Radio Buh interviewed wurde. Irgendwann waren weder der Bernauer Toni , noch die Guten A-Band, noch Radio Buh mehr da und jemand nickte mir mitleidig zu: „Jetzt geh schon auf deine Hochzeit!“ Also nahm ich meinen Karton voller Bücher und trottete zum Auto zurück. „Nächstes Mal!“, sagte ich mir voller Vorfreude. „Nächstes Mal wird mein großes Durchbruch! Dann klappt es ganz bestimmt!“

Mehr zum Knallerhof: https://www.chiemgauseiten.de/chiemgau/buecherhuette-guesshuebel/
Der Text über die Maria Bruckmüller: https://www.chiemgauseiten.de/chiemgau/heimatgeschichte/das-faszinierende-leben-der-maria-bruckm%C3%BCller/

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