Montag, 3. Juli 2017

Wolfgang Herrndorf, die ZIA und der Bachmannpreis

Die Zentrale Intelligenz Agentur in Klagenfurt

Wolfgang Herrndorf, die ZIA und der Bachmannpreis

Wolfgang Herrndorf, 2013 verstorbener Autor des modernen Literaturklassikers "Tschick", gewann 2004 in Klagenfurt beim Bachmannpreis den Publikumspreis. Aufmerksamen Lesern seines Blogs "Arbeit und Struktur" ist bekannt, dass ihn seine Niederlage - den Hauptpreis gewann Uwe Tellkamp - noch fast zehn Jahre später wurmte. Liest man die Nachberichte zum damaligen Wettkampf durch, stößt man noch auf einige witzige Anekdoten: Unter anderem, dass es sich bei Herrndorfs Auftritt um eine konzertierte Aktion, gar den Versuch einer feindlichen Übernahme des Bachmannpreises durch die "ZIA" handelte. Herrndorf trug nämlich, als er seinen Text "Diesseits des van Allen Gürtels" vortrug, ein T-Shirt auf dem ein Computer mit einer Tastatur und exakt drei Buchstaben abgebildet war: ZIA. Was die ZIA vorhatte und wann es ihr gelang, erfuhr man erst zwei Jahre später.
2004 war Herrndorf ein dem großen Publikum gänzlich unbekannte Autor eines Romans namens "In Plüschgewittern". In Klagenfurt setzte er sich am ersten Tag klar gegen die anderen Schriftsteller durch, unter anderem gegen Juli Zeh, deren Text die Jury spaltete.
Am Tag Zwei kam also Uwe Tellkamp dran: Er las "Der Schlaf der Uhren" aus seinem später berühmten Roman "Der Turm". Die Jury war begeistert. Herrndorf wurde bis zuletzt nicht müde, den Turm literarisch auseinander zu nehmen.
Quelle: http://archiv.bachmannpreis.orf.at/bachmannpreisv2/static2.orf.at/
vietnam2/images/site/bachmannpreis/200426/herrndorf_jung.jpg
Die Konkurrenz am letzten Wettbewerbstag hatte es ebenfalls in sich: Arno Geiger, der heute einer der bekanntesten österreichischen Autoren ist. Und der Philosoph Richard David Precht, der heute vor allem für sein Buch "Wer bin ich? Und wenn ja, wie viele?" bekannt ist.
Den triumphalen Sieg trug bekanntlich Uwe Tellkamp davon. Über den Publikumspreis entschied wiederum keine Jury sondern das Publikum - per Internet. Jetzt muss man wissen, dass Anfang der 2000er Jahre der Bachmannpreis von einer Autorengruppe, die im Internet als "Höfliche Paparazzi" bloggte, intensiv verfolgt und kommentiert wurde. Mit dem Support der geheimnisvollen Hintergrundorganisation "ZIA", zu der einige der Höflichen Paparazzi gehörten, wurde Jahr für Jahr ein Autor mit dem Ziel, den Wettbewerb zu untergraben und letztendlich zu gewinnen, in Klagenfurt eingeschleust.
2004 gelang nur der Publikumspreis - Herrndorf setzte sich logischerweise durch, weil vermutlich halb Berlin sich einloggte, um für ihren Autor abzustimmen.
Im Jahr darauf scheiterte auch Natalie Balkow (immerhin gewann sie den Ernst-Willner-Preis). 
Für den endgültigen Coup sorgte erst Kathrin Passig 2006 mit dem Sieg des Ingeborg-Bachmann-Preises. Passig, die die ZIA 2001 zusammen mit Holm Friebe und anderen gegründet hatte - begeisterte mit dem Text "Sie befinden sich hier" die Jury. Da auch wieder die Höflichen Paparazzi höflich mitvoteten, gewann Passig zusätzlich auch den Publikumspreis. 
Im Jahresrückblick der ZIA kann man in einigen sehr witzigen Videos die Planung des Coups noch einmal nachhören:

Nachdem es gelang, den Wettbewerb zu kapern und somit obsolet zu machen, begann man die folgenden Jahre, den Gewinner gleich anhand eines Computeralgorithmus auszurechnen: Der "Automatische Literaturkritik Preis" ging 2008 beispielsweise an Tilman Ramstedt. Der Computer errechnete den späteren Sieger des Bachmannpreises einige Stunden vor der Jury in Klagenfurt, die etwas länger brauchte. 

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