Norbert Niemann schaut grimmig in die Kamera. Die Augen
zusammengekniffen, entschlossener Blick, Dreitagebart. Das Foto hat seine Frau,
Judith Bader gemacht. Bereits das Umschlagsfoto auf Norbert Niemanns neuem Roman
lässt etwas von der unbeirrbaren Radikalität der „Einzigen“ erahnen. Der
Chiemgauer Autor war nie bekannt dafür, halbe Sachen zu machen. Mit seinem
neuen Werk lotet er neue Grenzen des literarisch vermittelbaren aus. Die
Einzigen sind, was anderes war auch kaum zu erwarten, keine leichte Literatur
und es ist mehr als vermessen, nach dem ersten Lesen das Buch zu beurteilen,
aber so viel bleibt haften: Stellenweise ist es in einer dem Blick auf dem
Umschlagfoto entsprechenden Radikalität geschrieben. Einer teils schwer
verdaulichen Wucht, ähnlich der Kunst die seine Protagonistin Marlene Krahl
exzessiv auslebt.
Die Einzigen, so hieß die Band von Harry Bieler, aus
dessen Sicht der Roman erzählt wird, der Band von Marlene Krahl und dem Bandleader
Sellwerth, dessen Beerdigung der Aufhänger des Wiedersehens der anderen beiden
ist. Schon die Namen sind in ihrer gewollten Gewöhnlichkeit so
gewöhnungsbedürftig, dass der Standardtrivialwanderhurenleser einen weiten
Bogen um das Buch machen wird. Lässt man sich darauf ein, wird man in eine
fremdartige, bizarre Welt der Musik eingeführt, Norbert Niemann bringt eine
faszinierende Nische der elektronischen Musik näher und ist in seinen
Beschreibungen Marlenes Kunst derartig extrem, dass sich der Laie nicht nur einmal
die Frage stellt, ob es die beschriebenen Musiksparten, Komponisten und Künstler
wirklich gibt, oder ob sie eine grandiose Erfindung des Autors sind. Marlene
Krahl betreibt eine bizarre, in ihrer Radikalität kaum zu überbietende
Avantgarde-Musik. Gipfelnd in einer, kreissägenartige
Töne hervorrufenden Tanzchoreographie, geht Marlene ohne Rücksicht auf Verluste
ihren künstlerischen Weg. Beneidet, geliebt und verachtet zugleich wird sie von
Harry Bieler, der sich seinerseits von seinen künstlerischen Ambitionen
verabschiedet und sich, auf seine Weise radikal, auf eine Expansion der
Seifenfirma seines Vaters, der ihm einst so verhassten Firma, versteift.
Soweit die Grundthemen des Romans, gewürzt natürlich mit
jeder Menge Sozialkritik, Norbert Niemann wird nicht umsonst als politischer
Autor angekündigt.
Aber etwas schwelt zwischen den Zeilen, das die
Geschichte nicht greifbar macht. Marlene Krahl ist es, die nicht greifbar ist.
Sie wirkt körperlos wie ein Geist. Oder wie eine Schallwelle. Sie existiert im
Buch, aber der Erzähler wirkt wie ein Gehörloser, dem es nicht gelingt, die
Person Marlene Krahl, die Liebe, die Harry für sie empfindet, greifbar zu
machen. So wenig, wie man Musik greifbar machen kann.
Aber wer Norbert Niemann kennt, der weiß, dass der Autor bis
ins kleinste Detail plant und ein Schreibprofi wie er nichts, vor allem nicht
den Erzählton, dem Zufall überlässt.
Vielleicht ist genau dies der Zauber des Romans: Denn Marlene
Krahl gelingt es, als Musikerin die Musik greifbar zu machen. Und genau so
sehr, wie sich der Leser 298 Seiten lang fragt, warum sich Harry Bieler und
Marlene Krahl eigentlich lieben, so sehr fragt es sich letztendlich auch Harry
selbst, warum Marlene, die ihm in allen Belangen überlegen ist, ihn liebt.
Und die Antwort, die Belohnung sozusagen, sich durch
diesen tiefen, schweren Roman gekämpft zu haben, ist ebenso verblüffend wie
folgerichtig. Und auf einmal sieht man den ganzen Roman mit anderen Augen.
Norbert Niemann ist ein Autor, dessen Bücher man entweder
verstehen muss, oder ein zweites, ein drittes Mal lesen muss. Da ich mir nicht
anmaße, zu ersterer Sorte zu gehören, freue ich mich bereits auf den nächsten
Durchgang.
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