Sonntag, 18. September 2016

Tschick - Auf der Suche nach dem Zauber der Literatur

Wolfgang Herrndorf - Tschick

Auf der Suche nach dem Zauber der Literatur


Die Kühe, Tschick und ich (v.l.)
Nicht erst seit Fatih Akins Verfilmung von Wolfgang Herrndorfs "Tschick" im Kino läuft, wird über den Zauber in Herrndorfs Jugendroman diskutiert. Mit Tschick ist Herrndorf noch zu Lebzeiten ein Klassiker der heutigen deutschen Literatur gelungen, der nicht nur von Lehrern in die Stundenpläne eingebrannt wurde, sondern auch vom Nullachtfünfzehn Leser geliebt wird wie kein zweites Buch. 
Dennoch, oder gerade deswegen fragen sich inzwischen manche: Warum eigentlich?
Da es mir beim ersten Lesen von Tschick ähnlich ging, habe ich Tschick noch ein zweites, drittes Mal gelesen. Ein Blick  zurück:
Tschick war das Sensationsbuch 2010. Ein flott geschriebenes Jugendbuch, Roadmovie von einem Berliner Autor, der seit langem als Geheimtipp galt. 
Womöglich mag Wolfgang Herrndorfs tragische tödliche Erkrankung ein wenig zum Erfolg beigetragen haben. Der Hype der sich innerhalb weniger Jahre über Theaterinszenierungen, die aktuelle Verfilmung und die Etablierung als Schullektüre in nahezu jeder Schule der Republik ausgebreitet hat, der lässt sich durch das Schicksal des Autors allein nicht erklären. 
Tschick ist zunächst ein durch und durch unterhaltsames Buch. Schneller Plot, zum Schreien komisch geschrieben, gleichzeitig ernst und durch und durch positiv durcherzählt. Wer Tschick ein erstes Mal liest, fühlt sich bestens unterhalten. Ob man gerade eines der besten Bücher der letzten Jahre gelesen hat, diese Frage hätten allerdings die wenigsten positiv beantwortet. Denn anders als vielleicht Sand, ist Tschick nicht durchgängig sprachlich genialistisch durchgestylt und auch die Story erlaubt sich manche Länge. 
Die Magie des Buches zieht sich zunächst aus einem Gefühl. Alle Menschen denen Maik und Tschick begegnen, sind nett. Dieses Berliner Umland wird als durch und durch schönes Land voller herzensguter Menschen gezeichnet. Aber nicht in einem naiven weltfremden Sinne. Oder wenigstens nur ein bisschen. 
Was Wolfgang Herrndorf, ähnlich wie John Green in "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" macht ist, dass er im Buch zahllose Zitate und Verweise auf die Weltliteratur einstreut. Herrndorf hat die Literatur zeitlebens geliebt und aufgesaugt, das spürt man in seinen Büchern. Zwei Beispiele aus Tschick: Maik erzählt, dass er Nachts oft am Indianerturm des Spielplatzes sitzt und auf Tatjanas Haus blickt. Wenn in einem der Zimmer ein grünes Licht schimmerte, stellte er sich sehnsüchtig vor, dass dies Tatjanas Zimmer sei. Unwillkürlich muss man an das berühmte Thema des grünen Lichts in Fitzgeralds "Great Gatsby" denken. 
Von Horst Fricke erhalten die beiden Jungs ein braunes Fläschchen. Etwas wunderbares muss sich darin befinden. Etwas, das ihnen "das Leben retten" würde. Ein Symbol aus der Romantik, ähnlich der blauen Blume. Doch Herrndorf wäre nicht Herrndorf, wenn er die beiden Suchenden nun das Ziel ihrer Reise hätte erreichen lassen. Sie werfen die Flasche mit dem magischen Inhalt kurzerhand aus dem Fenster des fahrenden Autos.
Wie verstrickt Tschick in das Gesamtwerk des Autors ist, wird übrigens nicht nur durch den unvollendeten Fortsetzungsroman "Bilder deiner großen Liebe" offenkundig: 
Bereits in der vor Tschick veröffentlichten Erzählung "Im Oderbruch" wird mehrmals ein "Maik Tschichatschow" erwähnt. Und ein Typ, dem sein Auto geklaut wurde (Ein Lada?) lernt ein seltsames, verschrobenes Mädchen namens "Ina" kennen. Ina, die nicht nur ähnlich heißt wie "Isa", sondern auch charakterlich der Isa aus Tschick, mehr noch aber der Isa aus "Bilder deiner großen Liebe" ähnelt. Bedenkt man, dass Herrndorf die Erzählungen und Tschick teils parallel geschrieben hat, beginnt man zu ahnen, dass die Texte als "Gesamtwerk" voller Querverweise und voller augenzwinkernder Überschneidungen gelesen werden muss. 
Und spätestens jetzt ist Tschick viel mehr als eine unterhaltsame Schullektüre. Es ist ein Gesamtkunstwerk.

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