Sonntag, 25. September 2016

Dies ist kein Liebeslied - Karen Duve



Karen Duve - Dies ist kein Liebeslied

Nach zehn Jahren im Bücherschrank endlich gelesen

Karen Duves Buch hat drei Umzüge und mehrere Ausmistaktionen überlebt, obwohl es vom Titel her nach Trivialliteratur klang. Ein Buch der Bücherei Kirchanschöring, es ist also mehr oder weniger geklaut: meine Mutter hatte es vor über zehn Jahren meiner Freundin in die Hand gedrückt und seitdem lag es zwischen "Tribute von Panem" und Stephen King.
Zehn Jahre später heißt der Autor, der mich am meisten geprägt hat Wolfgang Herrndorf. Und dieser Herrndorf schreibt von einem Buch, das ihn in verschiedenen Lebensphasen geprägt hat. Es heißt "Dies ist kein Liebeslied"...
Herrndorf ist seit drei Jahren tot, meine Mutter seit zehn. Zeit, das Buch endlich zu lesen.
Der Goldmann Verlag wirbt im Klappentext, dieses Buch sei hochkomisch und es gäbe viel zu Lachen. Quatsch. Dieses Buch ist vielleicht hochkomisch geschrieben, aber gleichzeitig ein so entsetzliches Psychogramm einer verkorksten Frau, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Ich habe es dennoch gelesen. Weil es in der Tat hervorragend geschrieben ist.
Das Buch spielt Mitte der Neunziger Jahre. Der Poproman war damals das große Ding. Ein Hauch von Nick Hornby weht und natürlich beginnt es gleich mit Fußball, dem 96er EM Halbfinale Deutschland gegen England. Aber das ist alles unwichtig.
Karen Duve schreibt unfassbar dicht. Sie führt innerhalb einer halben Seite einen neuen Charakter ein, zeichnet in kurzen, prägnanten Sätze eine lebendige Figur die man sofort so sehr ins Herz schließt, man wünschte ihr eine eigene Trilogie. Und noch bevor man umblättert versenkt Duve die Figur mit einem knappen "Und das wurde aus ihr..." Und man liest nie wieder etwas von ihr. Das ist mehr als verschwenderisch. Das ist großartig. 
Die Versuche, ein erstes Mal mit einem Mann zu schlafen. Die deprimierenden Küsse. Das Suchen und Nicht - Finden der Liebe. Das Hassen des eigenen Körpers: Dieses Buch ist aufwühlend und wer will, kann sich von den Pointen verleiten lassen und lachen. Wer einen kleinen Funken Empathie hat, wird mit Anne leiden und wer ein Mann ist, wird vielleicht ein klein wenig mehr Verständnis für die Nöte einer Frau haben. 
Man ahnt in diesem Buch auch, woher Wolfgang Herrndorf das Tempo von "Tschick" vielleicht abgeschaut hat. Herrndorf selbst beschreibt in seinem Blog eine Prüfungsszene, in der Goethes "Werther" analysiert werden muss: Zunächst wird dem Buch sämtliche Glaubwürdigkeit entzogen, da Goethe so ein stolzer Gockel war, im nächsten Satz aber ist der Werther das einzige Buch, das wahre Liebe lesbar macht.
Herrndorf selbst sagte, man solle "Dies ist kein Liebeslied" mindestens alle fünf Jahre einmal lesen. Ich schau in fünf Jahren noch einmal rein.


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