Wie ich beinahe Protagonist meines Lieblingsbuches geworden wäre
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In Berlin fällt es leichter, der zweitbeste Schriftsteller aus
Traunstein zu sein |
Bekenntnis: Nein, ich bin nicht der zweitbeste Schriftsteller Traunsteins. Auch bin ich nicht der in meinen Blogbeiträgen beschriebene brillante Jungliterat der die Chiemgauer Kulturszene begeistert. Ich habe meine Leser in jedem einzelnen Post betrogen. In Wirklichkeit bin ich ein Plagiator. Jemand der schreiben will wie Glavinic in den "Glavinic"-Romanen und Lottmann in seinen "Lottmann" Tagebüchern. Einer der dabei die großen Namen der Wiener - und Berliner Szene gegen die der Chiemgauer Kultur er- und nebst seinen setzte.
Als Hochstapler enttarnt wurde ich ausgerechnet von jenen Kreisen denen ich meinte, den falschen Titel "Traunsteins zweitbester Schriftsteller" abspenstig machen zu müssen: Dem Milieu der Chiemgauer Krimi-Autoren. Enttarnt haben sie mich als biederen Beamten des gehobenen Dienstes, einen schreibenden Hochstapler mit mangelnden Grammatik- und Rechtschreibkenntnissen, aber vorzüglichem Ego.
Geschasst von jenen Kulturkreisen zu denen mir mein früherer Lehrer Niemann riet, gegen sie "anzustinken" - in deren wohlige Wärme es mich in Wahrheit magisch hinzog, flüchtete ich an den einzigen Ort an dem ich noch Traunsteins zweitbesten Schriftsteller spielen durfte: Nach Berlin.
Kastanienbäume, Kastanienallee, Prenzlauer Berg. Eine laue Herbstnacht. Verstohlener Blick durch das Schaufenster eines Buchladens wo ein echter Schriftsteller eine Lesung hält und mehr als zehn Zuhörer im Publikum sitzen. Berlin. Wehmut.
Weiter in die Szenekneipe. Treffen mit Berlin Mittes zweitbester Feuilletonistin und dem zweitbesten aus Bielefeld stammenden Schriftsteller. Sie wissen noch nicht, dass ich gar nicht Traunsteins zweitbester Schriftsteller bin. Oder sie wissen es längst. Auch sie haben Internet. Sie lassen sich nichts anmerken. Diskussion auf Augenhöhe. Gerührt.
Nach den harten Wochen seit meiner Enttarnung und der gemeinen Mail die ich seitdem bekommen habe, Austausch über Shitstorms. Es war bereits mein zweiter. Schon vor drei Jahren hatte ich einmal eine unschöne Mail bekommen.
Gespräch über Literatur. Natürlich. Lottmann sei in der Stadt und auch sein Freund und Wegbegleiter Holm Friebe kehre regelmäßig in diese Kneipe ein. Ich, der Hochstapler werde hellhörig. Weiß sie, dass ich in Wirklichkeit ein gar nicht so höflicher Paparazzo bin, der durch eine Überdosis des Buches "Arbeit und Struktur" dem Wahn erlag, ein guter Freund von Holm, Cornelius und Joachim zu sein? Ist das Treffen etwa als letzter Coup des zweitbesten Schriftstellers Traunsteins geplant, ehe seine nie vorhandene Autorenkarriere wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt? Geht der Hochstapler so weit, die kostbare Zeit der nettesten Shitstorm-Auslöserin Deutschlands und die ihres Freundes zu missbrauchen, nur um einmal in derselben Kneipe wie seine Idole zu sitzen?
Und um Haaresbreite wäre die Utopie des Hochstaplers aufgegangen: Die Feuilletonistin greift zum Handy und lädt kurzerhand Cornelius runter in die Kneipe ein. "Mit wem bist du da?", antwortet er kurz darauf. Wird Cornelius wirklich kommen und dem Pseudo-Literaten eine letzte große Bühne bereiten? "Mit Bernhard S." tippt die Journalistin in ihr Handy.
Cut.
Donnerstag, 28. 11.2017 22:59
Im Schwarzsauer mit R. und T. Rauchschwaden. Mein drittes Bier und jede Menge Leitungswasser. R. hat Cornelius eingeladen und er antwortet mit einem Zitat aus meinem Blog. Er kommt nicht, aber er hat mich gelesen. Was viel schlimmer ist. Etwas verrutscht. Ein unwirklicher Abend kippt endgültig ins Surreale. An Nächten wie diesen klafft das Universum auf. Ich eine blasse Figur meines Lieblingsbuches. Hilflos begeistert und peinlich berührt von mir selbst. Derjenige der gerade diese Geschichte verfasst sollte sich mehr Mühe beim Skizzieren seiner Hauptfigur machen. Kill your darlings. Ich muss nach Hause. Kastanienallee, Kastanien. Steige in die falsche U-Bahn ein. Träume die ganze Nacht von Lottmann.
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