Samstag, 7. November 2015

Aus dem Leben eines Taugenichts

Wie ein Stück romantischer Literatur entstand

Ein junger Beamter spürt, dass der Ernst des Lebens begonnen hat. Er muss sich entscheiden, ob er das aufregende Leben eines Studentenstrizzel und eines Schriftstellers romantischer Literatur endgültig zugunsten der lebensnotwendigen Pflichten, aufgibt. Er muss für sich und seine Frau Geld verdienen, seine Beamtenlaufbahn vorantreiben, da er vom Schreiben allein nicht leben kann.
Wehmütig denkt er zurück an seine Studentenjahre, die er mit den Romantikern in Heidelberg verbracht hat. Er ist viel gereist in dieser Zeit, hat leidenschaftliche Gedichte und Erzählungen geschrieben, nun wächst der Druck des Erwachsenenlebens. 
Während er seine Pflichten als Beamter gewissenhaft ausfüllt, nutzt er jede freie Minute, um eine Art Road-Movie des frühen 19. Jahrhunderts über einen Taugenichts zu schreiben, der naiv in die Welt hinaus wandert, um allen Pflichten zu entfliehen, um sich zu verlieben, um frei zu sein, um das Leben, das einzig wahrhaftige Leben, bis ins Mark auszusaugen. Während er den leidenschaftlichen Roman schreibt, stirbt ein Elternteil, der finanzielle Druck wächst und je freier sein Taugenichts im Roman ist, desto mehr vereinnahmen ihn die Pflichten im richtigen Leben. Er ist kurz davor, das zu werden, wogegen er anschreibt: Ein Philister.
Wer sich mit Joseph von Eichendorff und seinem „Aus dem Leben eines Taugenichts“ beschäftigt hat, der wird diese Geschichte, diese Tragik des einstigen Heidelberger Romantikers, der sein Brot als Beamter verdienen musste, kennen. Und wer mich kennt, der wird grinsen und merken, dass ich gar nicht über Eichendorff, sondern über mich geschrieben habe.
Ohne Eichendorffs Biographie zu kennen, habe ich mich kurz nach meinem Studium kurz mit dem Taugenichts auseinandergesetzt und meine eigene Version des Romans unter dem Titel „Reise ans Ende der Romantik“ aufgeschrieben.
Interessant dabei ist es, dass es scheinbar für jede Lebensphase den richtigen Autor gibt. War es damals Eichendorff, wurde es später Wolfgang Herrndorf. Seltsam genug vor allem deshalb, weil er nicht nur genau in dem literarischen Stil schrieb, der mich inspirierte, sondern sich auch intensiv mit seinem Gehirntumor, einem Glioblastom auseinandersetzte. Seltsam deshalb, weil ein Jahr nach seinem Tod auch bei einem noch viel zu jungen Mitglied meiner Familie ebenfalls ein Glioblastom im Kopf entdeckt wurde. Bezeichnend auch, dass mein zweites prägende Buch kurz vor dieser Diagnose John Greens „Das Schicksal ist ein mieser Verräter war“. Von der Romantik zur Krebs-Literatur. Ja, ich sehne mich zurück zu den alten, unbeschwerten Eichendorff-Zeiten in Heidelberg.

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