Die Stimmung kippt. Das Deutsche Sommermärchen ist
vorbei. In den Medien lösen verstärkt Berichte von Missständen in
Flüchtlingslagern und kriminellen Flüchtlingen jene von helfenden Bürgern und
tatkräftigen Aktionskreisen ab.
Die Rechtskonservativen, die Pegida-Bewegungen, die
besorgten Stammtischwutbürger haben wieder Oberwasser bekommen. Die Stimmung
kippt.
Gerade jetzt wäre ein deutliches Zeichen von außen
notwendig, um den deutschen Gutmenschen zu danken und dem Land den Spiegel
vorzuhalten, was die letzten Wochen eigentlich geschehen ist. Der
Friedensnobelpreis wäre ein politisches Signal dafür, dass dieses Land einen
vielleicht irrationalen, aber einen richtigen Weg eingeschlagen hat.
Wie kam es eigentlich dazu, dass ein reiches europäisches
Land ohne Not die Grenzen für Flüchtlinge geflutet hat? Wie kommt es eigentlich
dazu, dass dies als so außergewöhnlich gilt, dass man es als
friedensnobelpreiswürdig statt als selbstverständlich betrachtet?
Die Jahre zuvor gab es ebenfalls Flüchtlingsströme. Nur wenige
Flüchtlinge kamen bis Deutschland durch. Viele ertranken im Meer, wer es
irgendwie an Frontec vorbei in die Festung Europa schaffte, wurde in erster Linie
von Italien, Griechenland, den Mittelmeer-Anrainern aufgenommen.
Schließlich die Bilder von überfüllten Zügen. Männer in
Uniform, Familien mit Kindern, ausgezehrt und müde, auf Bahnsteigen wartend. Es
sind Bilder, die jeder Deutsche fest verankert im Kopf hat. Allerdings in
Schwarz-Weiß. Plötzlich sind die Bilder farbig. Und anstatt in eine Todesfabrik
werden die Menschen nach München gebracht. Nach Dortmund. Nach Freilassing. Sie
werden von Menschen empfangen, die ihnen Hilfe anbieten, die sich
aufopferungsvoll kümmern, Nachtschicht für Nachtschicht. Wäre Auschwitz nicht
ein Wort, das unter keinen Umständen in etwas Positives verwandelt werden kann,
wäre man versucht zu schreiben, gerade geschieht ein umgekehrtes Auschwitz. Deutschland
versucht, dem Schrecken seiner Vergangenheit etwas Gutes, etwas menschliches
entgegenzusetzen. Deutschland versucht, das einzig moralisch richtige zu tun.
Ohne Wenn und Aber. Horst Seehofer ist entsetzt.
Es wird psychologisiert, was nur in Angela Merkel
gefahren ist. Warum es in Deutschland trotz Pegida-Bewegung und CSU so viel
Hilfsbereitschaft gibt. Ob es die typische deutsche Selbstgeißelung ist, sich
ein Flüchtlingsproblem ungeahnten Ausmaßes ins Land zu holen.
Es mag eine politisch irrationale Entscheidung sein, aber
menschlich ist es schlicht und einfach die einzig richtige Entscheidung
gewesen. Angela Merkel und tausende freiwillige Helfer haben sie getroffen. Und
wenn das keinen Friedensnobelpreis wert ist, was sonst?
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