Dienstag, 16. März 2021

Benedict Wells - Hard Land

Buchbesprechung "Hardland" von Benedict Wells

Werde ich während der Lektüre ebenso ernst dreinschauen wie Benedict Wells, dachte ich mir, als diese Postkarte aus seinem Buch Hard Land fiel. Anfangs dachte ich sogar mehr darüber nach, warum Benedict Wells so traurig in die Kamera schaute. Aber vermutlich lag es auch daran, dass das Foto inmitten einer weltweiten Pandemie geschossen wurde. 1985 ahnte man noch nicht, wie diese unsere ferne Zukunft einmal aussehen wird. Und in genau diesem Jahr spielt der Roman. Warum ausgerechnet 1985? Mein erster Impuls war, dass Benedict Wells 1985 geboren ist. Ein Blick auf den Buchumschlag verriet aber: Geburtsjahr 1984. Wäre auch ein fast genialer Buchtitel gewesen!

Ebenso außergewöhnlich für einen in der Schweiz lebenden Schriftsteller ist die Lokation, in der der Roman spielt: Eine Kleinstadt namens Brady im US Staat Missouri. Ein Jugendroman, der in Missouri spielt – man denkt reflexhaft an Huckleberry Finn, aber das wäre zu naheliegend. Es wird eines der 49 Geheimnisse dieses Buches bleiben, warum Benedict Wells dieses Setting wählte.

Benedict Wells hat inzwischen über so ziemlich alles geschrieben, was ich selber cool und interessant finde: Musikalische Schüler, über den Tod, der einen inzwischen kennt, über die verrücktesten moterhfucker Berlins – oder wenigstens die skurrilsten Spinner der Stadt – und selbst einen Jugendroman, der in Amerika spielt, hat er bereits geschrieben. Die inzwischen klassischen Benedict-Wells Zutaten sind auch in diesem Roman wieder zu finden. Klingt langweilig? Nicht wenn man weiß, wer Benedict Wells großes Romancier-Vorbild ist. Denn auch der amerikanische Großmeister sollte dringend gemieden werden, wenn man keine Bücher lesen will, in denen Wrestling, Bären oder Wien vorkommen. Denn das ist die Welt, wie sie John Irving sah. Aber zurück zu Benedict Wells. Er hat sich einen fünfzehnjährigen Außenseiter ausgedacht, dessen Mutter an Krebs erkrankt ist und der im Laufe eines Sommers nicht nur die Freundschaft dreier älterer Highschool-Kids gewinnt, sich verliebt und die unglaublichsten Mutproben besteht, sondern auch am Ende mit dem Tod seiner Mutter fertig werden muss.

Da waren im ersten Drittel des Romanes keine großen Überraschungen, aber irgendwann bin ich weggedriftet und zwar ins Jahr 1996 in den Bundesstaat Washington. Vielleicht kann ein Roman auf zwei Weisen Magie erzeugen: Die einen lesen ihn und tauchen in eine Welt ein, die ihnen gänzlich fremd und fantastisch erscheint. Die anderen kehren zurück in eine längst vergessene Zeit und alte Erinnerungen blitzen auf an die Tage, als das Leben so intensiv war, als spränge man von einer 15 Meter hohen Klippe.

Auf einmal war ich also wieder 17. Die Kleinstadt hieß Spokane und der Außenseiter war ein pickeliger Austauschstudent aus Deutschland, der sich mit der Sprache schwer tat und die meiste Zeit über Geschichten in seine Mead Kladde schrieb. Bis er Teil einer Clique Skater wurde, die sich jeden Tag in der Mittagspause unter der Interstate 90 trafen, tollpatschig versuchten, ihren Brettern Kunststücke zu entlocken und heimliche U2-Hardcorefans waren.

Je länger ich Hard Land las, desto mehr Erinnerungen wurden lebendig. Wie oft ich in irgendwelchen Puckups gesessen war, wo wir überall heimlich Bier getrunken hatten und wie groß der Schmerz war, als das Jahr schließlich wieder vorbei war. Nur diesmal war ich es, der gehen musste und sogar noch ein wenig weiter als bis zur Ostküste.

Aber noch etwas anderes rührte mich in Hard Land, das ich lange nicht richtig greifen konnte. Sicher, die Geschichte mit Sams Mom, die – kein Spoiler, es wird schon von Beginn an verraten – bald stirbt. Warum rührte mich diese Geschichte der Frau, die halb Brady mit Bücher versorgte und nach langer schwerer Krankheit viel zu früh verstarb so sehr? Oh Fuck.

Meine Mama war die Büchereileiterin gewesen, die Jahrzehntelang das halbe Dorf für Bücher und Lesen begeistert hatte, ehe sie viel zu früh nach heftiger Krankheit verstarb.

Mit diesem Buch ist es Benedict Wells endgültig gelungen, meine Geschichte zu erzählen. Oder vielleicht macht genau dies ein gutes Buch, einen guten Autor aus: Dass die Leser überzeugt sind, dass sie gerade ihre eigene Geschichte lesen. So wie sie war. So, wie sie hätte sein können.

1 Kommentar:

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