"Wir
kommen" heißt das Romandebüt von Ronja von Rönne. Es hätte auch "Vier
kommen"
heißen können. Viererkonstellationen stehen im Mittelpunkt, ebenso
das Nicht-kommen, das nicht Ankommen, das Suchen einer jungen Generation die alles
hat, aber nichts, das bleibt.
Karl
Ove Knausgard hat einmal gesagt, dass Literatur Ausschau halten muss, Ausschau
nach etwas anderem. Dies sei ihre einzige Aufgabe.
Ronja
von Rönne hält Ausschau. Die Gedanken ihrer Ich-Erzählerin, oft ironisch, der
Nihilismus der beschriebenen Welt sind nicht neu, aber sie hebt etwas, das
vielleicht mit Christian Krachts Faserland begonnen hat, in eine neue Dimension,
in die nächste Generation. Ist das die Generation Y oder schon wieder etwas
ganz Neues?
Doch
Stop, nochmal alles auf Anfang.
Worum
geht es eigentlich?
Da
ihr Therapeut in Urlaub geht, soll die junge Erzählerin ihre Gedanken in ein
blau-gelbes Notizbuch, auf dem ein Streichholz abgebildet ist, aufschreiben. Zu
notieren gibt es genug: Maja, die Jugendfreundin ist tot. Zumindest wird dies
auf der Einladung zur Beerdigung behauptet. Und auch die Viererbeziehung mit
ihrem Freund Jonas, ihrem Ex-Freund Karl und dessen Neuer Leonie ist weniger
erotische Utopie denn zermürbende Realität. Denn selbst wenn es zu viert
perfekt sei, wie die Erzählerin behauptet, wird die Konstellation durch Leonies
stille Tochter Emma-Louise, also der Nummer Fünf, gesprengt. Da jeder
der Fünf seine eigenen unausgesprochenen Sprengsätze in sich trägt, beschließen
sie, eine Weile in einem Ferienhaus am Meer zu leben, bis sich die Probleme von
alleine lösen. Bis alles wieder gut ist. Bis Maja doch nicht tot ist. Bis aus
aus Vierer- wieder Zweierbeziehungen werden. Bis klar ist, wer der Vater von
Leonies Tochter ist. Und bis diese ganze erdrückende Welt eine andere ist.
Hat das alles was mit dem Chiemgau zu tun?
Kleinstadt Tristesse Kaufland |
Ronja
von Rönne lebt laut Klappentext in Berlin und Grassau. Sie nennt ihre Hauptfigur
Nora und legt somit vielleicht bewusst, vielleicht unbewusst eine Fährte, dass
es Ähnlichkeiten zwischen Ronja und Nora geben könnte. Es bleibt jedoch nur bei
der Fährte, wobei das Spiel mit dem Ich und den daraus entstehenden
Möglichkeiten gerade Thomas Glavinic im „Jonas Komplex“ mit Lust zelebriert.
Fakt
ist aber, dass in Noras Rückblenden an ihre Kindheit in einem konservativen
Dorf Grassau und der Chiemgau Pate gestanden haben. "Sterben gehört
bei uns nämlich genau so zum Miteinander wie akkurat gestutzte
Rasen..." Das klingt schon sehr nach Oberbayern.
Ebenso
wenn Nora in ihren Rückblicken vom Kaufland erzählt, von den Punks, die dort
herumlungern und von den Hausfrauen, deren Wochenhöhepunkt der Einkauf und die
Einkehr im Kaufland-Restaurant ist, sieht man sofort Traunstein vor sich.
Es
ist allerdings ein düsteres Bild, das sie von der scheinbaren Idylle auf dem
Dorf zeichnet: Missbrauch, Alkoholismus, zerrüttete Familien. Nur ein Auerhaus
fehlt. Es bleibt den Jugendlichen nur die Flucht nach Berlin.
In den Traunsteiner Buchhandlungen hat man übrigens beim Namen "von Rönne" mit den Schultern gezuckt. Zwar hatte zumindest die Buchhandlung Stifel einen ganzen Stapel angeschafft, aber von der Autorin hatte man noch nie etwas gehört. Das dürfte sich ändern...
In den Traunsteiner Buchhandlungen hat man übrigens beim Namen "von Rönne" mit den Schultern gezuckt. Zwar hatte zumindest die Buchhandlung Stifel einen ganzen Stapel angeschafft, aber von der Autorin hatte man noch nie etwas gehört. Das dürfte sich ändern...
Ist das jetzt gut oder was?
Der
literarische Platzhirsch am Chiemsee ist bisher Norbert Niemann, weshalb sich
ein Vergleich anböte. Er ist allerdings so ziemlich das Gegenteil einer Ronja
von Rönne. Männlich, doppelt so alt, den Bachmannpreis hat er damals gewonnen.
Stellt man „Wir kommen“ neben Niemanns „Willkommen neue Träume“, in dem
ebenfalls eine Prise Chiemgau herauszulesen ist, wird der krasse
Generationenwechsel deutlich. Denn, bei allem Respekt zum literarischen
Schwergewicht von der anderen Chiemseeseite, schreiben kann sie. Die Sprache
ist dicht, der Plot flott. Die Welt die sie beschreibt, eine neue, andere, nicht weniger traurige. Das Buch tut weh und alle paar Seiten sind
wunderschöne Sätze zu entdecken, die man sich sofort auf T-Shirts drucken oder im
Internet posten möchte. "Schau, das ist die Welt. Schau, das ist die
Nacht. Schau, das ist das Warten. Schau, das ist die Leere. Schau, das
ist..." möchte sie einem gelockten Zukunftsforscher sagen. Eine der
Stellen im Buch, die auf unaufgeregte Weise berühren.
Kurz
erinnert das Buch an das kunstseidene Mädchen von Irmgard Keun aus den
Zwanziger Jahren, das heute als wichtiges feministisches Buch gilt. Aber
Feminismus und Ronja von Rönne - da war doch mal was...
Eine Leseempfehlung wird natürlich mit euphorischem
Feuerwerk gegeben. Gespannt abzuwarten ist allerdings, welche Langzeitwirkung
das Buch entfalten wird. Ob es, wie einst Wolfgang Herrndorfs „Tschick“, mit
jedem Jahr wundervoller wird, oder ob es das Schicksal der legendären
Popliteratur ereilt, die mit den Jahren eine goldene Patina anzunehmen begann.
Schreiben Sie weiter, Fräulein von Rönne. Und gibt’s mal
eine Lesung in der Bücherei Grassau, werden wir kommen!
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