Samstag, 9. September 2017

Thomas-Bernhard-Haus in Traunstein wird abgerissen

Es könnte eine Sehenswürdigkeit sein. Jetzt wird es abgerissen

Das Thomas-Bernhard-Haus wird abgerissen.
Das Wohnhaus eines der berühmtesten Bürgers der Stadt wird abgerissen. In anderen Städten gäbe es einen Aufschrei, Diskussionen, Bürgerinitiativen. In Traunstein gibt es einen Artikel in der Lokalzeitung in der sich alle auf das schöne neue Haus freuen und die Sache hat sich erledigt. Bei dem berühmten Bürger handelt es sich zwar um einen der einflussreichsten Schriftsteller und Dramatiker des vergangenen Jahrhunderts. Aber dieser Literat hatte es gewagt, nicht nur über Wien, Salzburg sowie ganz Österreich seine literarischen Wutausbrüche auszuschütten, sondern eben auch über Traunstein. Und dies kann literarisch noch so hochwertig sein, hier in Traunstein geht sowas ja gar nicht. Also: Weg mit dem Haus!
Man stelle sich mal die leicht geänderte Überschrift vor: "Papst-Benedikt-Haus wird abgerissen" - man mag sich gar nicht ausmalen, welche Stadtrats-Sondersitzungen und Lichterketten dies ausgelöst hätte. Klar, einen österreichischen Literatur-Papst kann man nicht mit einem wahrhaftigen emeritierten vergleichen. Aber in Sachen Tourismus kann, seitdem die Reisebusse aus Italien weniger werden, sehr wohl die Frage gestellt werden, ob nicht inzwischen mehr Thomas-Bernhard-Jünger in die Stadt kommen, um  auf den Spuren ihres Idols zu wandern. Es mag den Traunsteinern seltsam erscheinen, aber Thomas Bernhard hat bis heute eine leidenschaftliche Fan-Gemeinde. Wer sich dessen überzeugen will, sollte einmal eine von Willi Schwenkmeiers Thomas-Bernhard-Spaziergängen beiwohnen. Er erfährt auf diesen literarischen Stadtführungen auch, dass hinter Thomas Bernhards Traunstein-Beschimpfungen ein bisschen mehr steckt als eine profane Abrechnung mit der Stadt seiner Kindheit. Und auch, dass Bernhard über das kleine Ettendorf ebenso liebevoll geschrieben hat wie er auf Traunstein schimpfte.
Aber mit der literarischen Wirkung von Bernhards "Ein Kind" haben sich weder der der Redakteur des Traunsteiner Tagblatts noch der Besitzer des Thomas-Bernhard-Hauses eingehender auseinandergesetzt. Tenor im Zeitungsartikel: Das Haus ist nicht denkmalgeschützt, also kann man es auch abreißen. Außerdem, so der Besitzer: "Meine Oma hat ihn als Kind erlebt, als ein ziemlich auffälliges und gestörtes Kind, muss ich dazu sagen". 
Ein "Weltliterat"?
Und dieses gestörte Kind hat dann in seinem Buch über seine Kindheit auch noch geschrieben: "Nichts ist ekelerregender als die Kleinstadt, und genau die Sorte wie Traunstein ist die abscheulichste". Vielleicht sollte man nicht unerwähnt lassen, dass Thomas Bernhard während des Dritten Reiches in Traunstein gelebt hat. 
Unfassbar für Traunstein, dass dieses gestörte Kind als "Mann der Weltliteratur" bis heute so eine enorme Wirkung auf Literaten und Leser ausübt. Man fühlt sich sogar genötigt, das Bronzeschild, das auf Thomas Bernhard hinweist, auch am Neubau wieder anzubringen. "Falls die Stadt das wünscht". 

Ob die Stadt das wünscht? Denn darin scheint man sich in Traunstein einig: "Nichts ist ekelerregender als ein Weltliterat, und genau die Sorte wie Thomas Bernhard ist die abscheulichste!"

Hier: Thomas Bernhards Spaziergang durch Traunstein