Sonntag, 22. Februar 2015

Der Friedhof der verlassenen Bücher

Der Bücherflohmarkt des Lions Club Traunstein


Beschaulich ruhig geht es am Sonntag zu
Einmal im Jahr organisiert der Lions Club Traunstein einen gigantischen Bücherflohmarkt in der Aula der Berufsschule. Drei Tage dauert der Bücherflohmarkt, ein wildes Festival der Literaturfreunde, ein Großereignis der Traunsteiner Schickeria, wenn es so etwas gibt, vor allem am Freitag zur Eröffnung. Aber auch, nach drei Tagen des gierigen Bücherraffens, auch ein beschauliches, nachdenkliches Ereignis am Sonntag, wenn es einlädt, über die Vergänglichkeit von Bücher nachzudenken. Außerdem trifft sich dort auch die hiesige Künstler- und Autorenszene. Ernst Jani ist immer da, auch Wolfgang Schweiger oder Willi Schwenkmeier. Nur ansprechen sollte man sie nicht, da sie, wie alle der Besucher, einen seltsamen Glanz in den Augen und ihren Tunnelblick nur auf die Bücher gerichtet haben.
Aber der Reihe nach: So, als gäbe es Tickets für die Bayreuther Wagner-Festspiele, drängen sich schon um Halb Zehn die Büchernarrischen und Großkopferten, die bisher noch nicht in den Lions Club aufgenommen oder zum Mithelfen eingeteilt wurden, vor den Türen der Berufsschule. Obwohl erst um Zehn Einlass ist, müssen die Tore eine halbe Stunde früher geflutet werden, damit es zu keinen Nervenzusammenbrüchen unter den Literaturversessenen Traunsteinern kommt.
Nach drei Tagen Flohmarkt kennt man die üblichen
Verdächtigen bereits. Wer erbarmt sich dieser Bücher?
Die Berufsschule wird gestürmt und eine Stunde lang reißen sich die professionellen Gebraucht-Bücherhändler und Flohmarktverkäufer alles unter den Nagel, was halbwegs verwertbar aussieht. Es herrscht ein Gedränge wie beim Starkbieranstich und fast hysterisch stapeln die Literatur-Aficionados die Bücher auf dem Reservierungstisch. Einer vom Lions Club schüttelt den Kopf: „Die kaufen den ganzen Schrott tatsächlich…“
Immerhin, es ist für den guten Zweck. Aber ein Körnchen Wahrheit steckt in diesem Satz schon: Denn die gebrauchten Bücher wurden immerhin von irgendjemand als nicht mehr würdig befunden, in seinem Buchschrank einen repräsentativen Platz einzunehmen. Die zigtausend Bücher des Flohmarktes sind nichts anderes als ein Friedhof der verlassenen Bücher. Bücher, die keiner mehr lesen will und andere, die garantiert nächstes Jahr wieder hier auf dem Bücherflohmarkt landen werden.
Am Sonntag geht es hier wesentlich ruhiger zu und, da die Lücken in den Bücherreihen ständig neu aufgefüllt werden, ist die Chance groß, doch noch etwas Interessantes zu entdecken.
Denn der Bücherfriedhof ist für Literaturkenner auch eine gigantische Wüste: Hunderte Bücher von Autoren, die vor Jahrzehnten einmal en vogue waren und nun auf dem Friedhof der verlassenen Bücher gelandet sind: Meterweise Heinz G. Konsalik, Johannes Mario Simmel und Marie Louise Fischer. Wer ist das eigentlich? „Das war früher die Rosamunde Pilcher“, erklärt mir jemand. Aha!
Auf einmal wird man ganz still und begreift, dass all diese Autoren hier einmal berühmt waren und gelesen wurden und heute sind ihre Werke das, was sie inhaltlich schon damals waren: Müll.
Diese Exemplare rettete ich vom Friedhof der verlassenen
Bücher
Soll man als Autor nun also flotte, unterhaltsame Literatur für die Masse der Gegenwart schreiben? Oder soll man etwas schaffen, das zeitlos, dicht und künstlerisch wertvoll ist? Wann werde ich mein eigenes Buch auf diesem Friedhof der verlassenen Bücher entdecken? Werde ich stolz sein, dass auch ich dort endlich vertreten bin? Oder werde ich traurig sein, dass ich nun auf einer Stufe mit Uta Danella gelandet bin?
Aber noch ist es nicht soweit. Vielleicht beim nächsten Bücherflohmarkt: Dem der Stadtbücherei Traunstein…

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Dienstag, 17. Februar 2015

Warum Bücher sexy sind

Sexy Bücher und Schallplatten
Jonathan Franzen erwähnt in seinem Buch "Das Kraus Projekt", dass Bücher von Elektronik "an die Wand gedrückt werden, weil sie nicht als annähernd so sexy gelten."
Natürlich ist es naturgemäß nicht die Meinung des Schriftstellers, dass Bücher nicht sexy seien, aber gilt das auch für die normalsterblichen Leser?
Ein Buch ist sexy! Es ist kein Zufall, dass sich im Deutschen das Wort "Ebook" für die angeblich so sexy elektronischen Schriften durchgesetzt hat. Das deutsche Wort "Buch" wird immer etwas physisches, etwas auf Papier gedrucktes, beschreiben. Im Deutschen hält sich für das elektronische Buch der anglisierte Begriff "Ebook". Wer sich mit Sprache beschäftigt ahnt, dass dieses englische Wort als Bezeichnung für eine Neuerung, der der deutsche Kulturbürger traditionell mit Skepsis gegenübersteht, nichts mit amerikanischer Sexyness zu tun hat, sondern in ihm eine sprachlich scharfe Abgrenzung zum Hochkulturgut "Buch" mitschwingt. 
Das Ebook sei nicht verteufelt, im Gegenteil. Bietet es doch die einzigartige Möglichkeit für sämtliche sozialen Schichten, sich zahllose Literaturklassiker gratis aufs Handy etc. zu laden und zu lesen. Dennoch reduziert es einzigartige Werke zu einem virtuellen Gut, das  im Übermaß verfügbar scheint und dadurch im Wert geschmälert wird. 
So erging es andererseits auch der Musik. Die Schallplatte wurde von der CD ersetzt und CDs konnten bald ohne Qualitätsverlust als MP3 überspielt und getauscht  werden und heute ist praktisch die gesamte Musikgeschichte per Cloud und gestreamt überall verfügbar. 
Und durch genau diesen Werteverfall aufgrund des unübersichtlichen Überflusses feierte die Schallplatte ihr einzigartiges Comeback. Jede Platte ist ein Unikat, ihr Rauschen, selbst die komplizierte Mechanik, die es bedarf, um sie abzuspielen, haben die Schallplatte sexy gemacht. So sexy, dass sie selbst in Zeiten der Cloud wieder in die Regale der Musikläden zurückgekehrt ist. 
Und genau so wird es dem Buch ergehen. Jedes Buch ist ein unikat. Nach jedem Lesevorgang wird es sich verändert haben. Nie wird man eine .pub Datei so lieben können wie ein Buch, das man in den Händen hält. Ein Buch kann repräsentativ in den Schrank gestellt werden, es hat Gewicht und es duftet. Ein Buch wird bald so sexy sein wie es die Schallplatte wieder geworden ist.  Es wird aufgrund seiner Sexyness nie vom Ebook verdrängt werden können.

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