Samstag, 9. August 2014

Thomas Glavinic und die Jonas Trilogie - Eine Entdeckung

Das größere Wunder: Ein Österreichischer Autor

Das größere Wunder

Nein, ich interessiere mich nicht für Bergsteigergeschichten. Und für einen Österreicher, der ausschaut wie ein Kiezlude, interessiere ich mich schon gleich drei Mal nicht. Und überhaupt habe ich noch nie was von diesem Glavinic gehört. Ich lese, wenn, dann Stanisic. 
So war meine erste Reaktion, als meine Frau mit einem Stapel Bücher von Thomas Glavinic von der Arbeit heim kam. Sie sah mich achselzuckend an. Ihr Arbeitskollege nötige sie, alles von diesem Glavinic zu lesen.
Während ich lustlos durch meinen Stanisic blätterte, hörte ich neben mir wieder und wieder Lachen, Seufzen, Lob, nicht selten Begeisterung für dieses Bergsteigerbuch namens „Das größere Wunder“. 
Vielleicht, um den Österreicher mit meinem kritischen Urteil zu vernichten, nahm ich mir also ebenfalls diesen Mount Everest – Schmöker zur Brust.
Wie erwartet, spielte mir der Österreicher gleich sämtliche Vorurteile in die Hände: Viel zu konstruiert die Ausgangssituation. Wie unrealistisch ist das denn! Und was ist denn Werner für ein beschissener Name?
Doch nach dreißig Seiten wollte mir die Kinnlade nicht mehr raufklappen. Das Buch hatte mich. Verdammt, der ganze Österreicher hatte mich. Und nachdem ich inzwischen alle drei Bände der Jonas-Trilogie gelesen hatte, zu der auch „Die Arbeit der Nacht“ und „Das Leben der Wünsche“ zählen, war ich tief eingeschüchtert, von diesem Autor, den ich nachträglich noch in meine (laminierte) Liste der Autoren, die mein Leben verändert haben, eintragen muss und sprachlos und verwundert, dass er mir so lange völlig unbekannt geblieben war. Auch mein Literaturmentor kannte ihn nicht. Deutsche Ignoranten!
Längst habe auch ich gerafft, dass diese von mir kritisierte Ausgangssituation natürlich konstruiert, eine Versuchsanordnung mit unbekanntem Ausgang ist. Nun weiß ich, dass Jonas, Werner und Marie in allen drei Büchern die Namensgeber der Hauptcharaktere sind, wenn auch nicht derselben Personen.

Thomas Glavinics Jonas

Hat man alle drei Bände der Jonas – Trilogie gelesen, versteht man, wie die verschiedenen philosophischen Themen, die den Autor beschäftigen, ineinander fließen. Rein oberflächlich geht es in „Die Arbeit der Nacht“ um einen Mann, der auf einmal das letzte Lebewesen auf der Welt ist. Im Leben der Wünsche, erfüllt sich zu seinem Leidwesen, alles, was Jonas sich wirklich wünscht. Und im Größeren Wunder? Hier stockt die klare Versuchsanordnung, es liest sich wie die konsequente Fortausführung der philosphischen Fragen, die Glavinic in den ersten beiden Bänden aufgeworfen hat. Er selbst sagt, er wollte in der „Arbeit der Nacht“ das Thema Angst behandeln, im Leben der Wünsche die Liebe und im größeren Wunder die Einsamkeit, aber alle drei Themen sind in jedem der drei Bände ähnlich stark vertreten.
Was alle drei Bände noch gemeinsam haben, ist eine bewusste oder unterbewusste Omnipotenz. Jonas kann als einziger Mensch der Welt natürlich tun und lassen, was er will. Er kann sich im Band zwei zwar nichts konkret wünschen, aber alle unterbewussten Wünsche werden wahr. Und der Jonas im letzten Teil ist so reich, dass er sich Alles leisten kann und hat zudem jemanden, der selbst die unmöglichsten Dinge für ihn zu realisieren vermag.
Was machen die drei Jonasse mit dieser Macht? Dies ist wohl der Zauber der drei Bücher. Denn jeder Band entwickelt sich so ganz anders als man es zu erwarten gedenkt.
Der einsame Jonas versucht, die Wohnung, in der er aufgewachsen ist, zu rekonstruieren und entdeckt, dass sein größter Gegner er selbst ist. Die Arbeit der Nacht wirkt wie die Drehbuchvorlage von sämtlichen „Paranormal Activity“ Filmen. Denn die Dinge, die Jonas, der sich nachts filmt, am nächsten Tag am Bildschirm sieht, sind noch verstörender als die Hollywoodvariante, mir so manch schlaflose Nacht gekostet hat. 
Der wünschende Jonas sorgt für Tod und Verzweiflung in der Welt und seinem direkten Umfeld und sein größter Wunsch ist nichts anderes, als eine Sekunde der Wahrhaftigkeit zu erleben.
Und was macht der megareiche Jonas? Sperrt sich jahrelang in ein Zimmer ein transportiert stillgelegte Dieselloks von Kontinent zu Kontinent und berauscht sich am Gedanken daran, riskiert wieder und wieder sein Leben, stapft mit den anderen Verrückten auf den Mount Everest und hadert mit der wahren Liebe. 
Alle drei Bände enthalten etwas, das ich so oft an Trivialliteratur kritisiert habe: Sie sind ungemein spannend und unterhaltsam. Aber hinter dem Erzählwitz brodelt etwas Unausgesprochenes. Philosophische Fragen werden angerissen, die ganz großen Themen werden ohne Berührungsängste durch dekliniert ohne, dass die Bücher ihre Leichtigkeit verlieren. Ein guter Schriftsteller muss auch ein Lehrer und ein Magier sein. Beides gelingt dem Österreicher mühelos.
Ich muss mich übrigens noch beim Arbeitskollegen meiner Frau für all die Bücher bedanken. Sein Pech, dass er sie nie wieder zurückbekommen wird : )

Thomas Glavinic und "Der Jonas Komplex"



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