Sonntag, 25. Februar 2018

Rückkehr nach Mannheim

Bernhard Straßer: Meine Zeit in Mannheim


Mannheim. Zum ersten Mal beschäftigte ich mich mit der Stadt Mannheim, als mir vor über fünfzehn Jahren ein Studienplatz ebendort angeboten wurde. "In Mannheim? Eigentlich habe ich keinen Bock auf das Ruhrgebiet." Ich nahm trotzdem an.

Mannheim im Winter: Wasserturm ohne Wasser.

Wenige Tage später saß ich im ICE und traf mich in Mannheim, das mir als die hässlichste Stadt Deutschlands angepriesen wurde, mit einem Herrn Hermann. In Mannheim heißt man Hermann, klar. Herr Hermann bot mir seine Wohnung in Mannheim zur Miete an. Die Wohnung, 25 qm Altbau, möbliert, war gelinde gesagt Scheiße. Aber sie war meine erste eigene Wohnung und außerdem lag sie fast direkt am Wasserturm. Also wurde sie für die kommenden drei Jahre zum absoluten Lieblingsort auf Erden. Herr Hermann stutzte zwar kurz, als der Bub vom Land ihn fragte, wo der Rhein sei. Die Frage rührte ihn so sehr, dass er mich sogar hin fuhr. Einmal Ludwigshafen und zurück. Ich hatte an meinem ersten Tag in Mannheim Wasserturm, Kunsthalle, Schloss, Rhein UND BASF gesehen und fand Mannheim, die beschissene Wohnung und Herrn Hermann super! 
Das zweite Mal in Mannheim war ich am 11. September 2001 - aber das ist eine andere Geschichte.
Die kommende Zeit ging in einem wirren Strudel aus FH, Miljöö, Action, Luisenpark, Lernen und Schwänzen, Genesis, Thanner, Quadrate, Rheinterrassen, Strandbad, Schiller und von Kotzebue unter. In ungefähr dieser Reihenfolge. 
Auf einmal sind fünfzehn Jahre weg wie nichts und ich schlendere durch eine Stadt von der ich erwartete, sie sei mir völlig fremd. Aber bis auf den Primark hinterm Enchiladas ist vieles gleich geblieben. Der alte Schiller steht immer noch verloren im Park hinterm Andechser. Ob Frau Gehrig noch lebt? Ob sie noch immer so böse zu den Gästen ihrer Pension ist? Der Wasserturm turmt träge vor sich her. Aber kein Wasser weit und breit wegen Winter. Nach zwei Stunden ziellosen Herumlaufens die ewige Frage: Wohin nun?
Chillen mit Schiller im Schillerpark
Natürlich zum Rhein. Vorbei am Schloss. Vorbei an Studierenden die geschäftig so tun als hätten sie nichts zu Lernen. Runter über Deutschlands einzigen Hauptverkehrsknoten der mitten auf einen einst malerischen Schlosspark gestellt wurde. Und dann steht er da, der Rhein. Unbeeindruckt von mir zieht er seiner Wege, als sei nichts gewesen. Unfassbar, dass wir da drin schon mal gebadet haben. Oberhalb von BASF, versteht sich. 
Jeder Baum, jeder Stein der Stadt eine Erinnerung. Schrecklich wenn ein tragischer Romantiker, als der ich damals im Wahlpflichtfach "Enneagram" profiled wurde, durch seine alte Heimat flaniert. Wie seltsam, dass man selbst Mannheim wehmütig liebt wie den schönsten Ort der Welt. Noch seltsamer die, die dort waren und es nicht tun. 
Zum Finale Fahrt vom Tattersall Richtung Neuostheim in der Sechser. Vorbei am Haus, in dem ich einst lebte. Vorbei an den Haltestellen an denen die anderen einstiegen, einer nach dem anderen, bis wir komplett waren und uns die Bahn an der Lukas Cranach Straße wieder ausspie. "Ein Hoch auf unseren Straßenbahnfahrer!" haben wir damals gesungen. 
Der Weg zur FH. Das Stelzenhaus hat keine Stelzen mehr. Die Ampel schaltet noch immer sofort auf "grün" um. Man kann die BA-Kollegen noch immer auf fünfzig Meter gegen den Wind identifizieren. Hätte ich auch am Morgen tun sollen, als ich mich zielstrebig neben Heinrich Alt gesetzt hatte. 
Hier wohnte ich also damals.
Ein bisher unbekanntes Schild verkündet, dass die FH nun "HdBA" heißt. Innen drin ist alles beim alten. Nur die Kantine wird umgebaut. Ob das Essen dadurch besser wird - zweifelhaft. Das Aquarium schaut immer noch aus wie ein Aquarium. Und im Audimax sofort der Drang, sich rechts hinten in die letzte Reihe zu setzen. Mist, alles schon voll. Dann halt in die zweite Reihe ganz vorne. Aha, so fühlt sich das also an. Vielleicht besuche ich heute auch noch ein erstes Mal in meinem Leben die Bibliothek, wenn ich schon Streber spiele.
Nach der Abendveranstaltung fährt eine Straßenbahn voller ausgelassener, übermütiger Kollegen zurück in die Stadt. Wohin jetzt? Die Kulisse gibt es nicht mehr, in der Karaokebar wird umgebaut. Miljöö und Action? Einer nach dem anderen verabschiedet sich in seine Hotels. Nun gut. Man ist ja schließlich keine Mitte Zwanzig mehr. Und außerdem muss man morgen ja früh raus. Und wann hat man schon mal die Gelegenheit gehabt, ohne Kinder eine Nacht durchzuschlafen?
Verdammt, ich bin zu alt für Mannheim geworden. Und dann fällt einem dieser völlig bescheuerte Wortwitz ein: "Ich kam als Bursche nach Mannheim. Und kehrte als Mann wieder heim." Schlecht? Ja, sehr schlecht. Gute Nacht!



Samstag, 17. Februar 2018

Die Zweisamkeit der Einzelgänger - Zurück in der Meyerhoff-Welt

Der letzte Teil von "Alle Toten fliegen hoch"

Gutes Buch - allerdings phasenweise ohne
den Zauber der Vorgänger
Joachim Meyerhoff hat sich mit drei unfassbar lustigen gleichwohl rühenden Büchern eine imposante Fangemeinde erschrieben. Die Erwartungshaltung an den Abschluss seiner biographisch angehauchten Reihe "Alle Toten fliegen hoch" war dementsprechend hoch. Obwohl mir die Erwartungshaltung der anderen schnurtzegal ist, blieb auch ich nach Lektüre von "Die Zweisamkeit der Einzelgänger" ein wenig enttäuscht zurück. Ein schönes, ein gutes Buch. Aber an das durchweg erhebende Leseerlebnis seiner "Lücke" vom letzten Jahr konnte er mit seinem Finale nicht anknüpfen. Um zu verstehen, wie Meyerhoff als Literat (natürlich auch als Schauspieler) arbeitet, muss man das Buch dennoch unbedingt gelesen haben:
Denn: Als völlig naiver Leser wie ich es bin, glaubte ich bei Lektüre des ersten Teils "Amerika",  tatsächlich, es handle sich um die Autobiographie des Schauspielers Joachim Meyerhoff. Vieles von den Beschreibungen hatte ich als Austauschschüler in den USA selbst ebenso erlebt. Meist dachte ich aber schmunzelnd: "Ganz so krass ist es bei mir zum Glück nicht eskaliert." Erst ab Band drei begann der blauäugige Bub vom Land, der ich nun einmal bin, zu begreifen, dass Meyerhoff ein Meister des märchenhaften Flunkerns ist. Und allen, die noch schwerer von Begriff sind als ich, liefert Joachim Meyerhoff in der "Zweisamkeit der Einzelgänger" schließlich die Erklärung gleich mit, wie sein Schreib- und Erinnerungsstil entstanden ist: Nächtelang erzählte er seiner Freundin Hanna seine Lebensgeschichte vor dem Einschlafen. Der waren die Anekdoten zu fad und bat ihn, sie möglichst skurril auszuschmücken. Und so, behauptet Meyerhoff, wusste er nach der Hanna-Zeit selbst nicht mehr, was in seinen Erinnerungen wirklich passiert war und was er sich nur ausgedacht hatte. 
Und überhaupt, Hanna. Sein Kennenlernen Hannas, ihre erste Nacht, ein ausgedehnter Spaziergang von der Bielefelder Innenstadt in den Teutoburger Wald, sind ein magischer Start in das Buch. In gewohnt grandioser Meyerhoff-Manier gelingt es ihm, sogar mir, der nicht an die Existenz Bielefelds glaubt, eine euphorische Liebe für diese Stadt einzuimpfen. Beinahe hätte ich schon ein Hotelzimmer in Bielefeld gebucht. Hanna und die Stadt Bielefeld werden skurril-seltsam beschrieben aber immer so liebevoll, dass man als Leser in den erhofften Sog gezogen wird. 
Aber so gut das Buch beginnt, irgendwann kippt es. Es beginnen Wiederholungen: Eine illegale Aktion in einem Kaufhaus erinnert an den Diebstahl des Life-Bildbandes aus der "Lücke". Gleich zwei Mal werden Theaterinszenierungen fast minutiös beschrieben. Weiterhin schön zu lesen, aber immer wieder kam der Gedanke: "Das hatten wir schon mal." Und schließlich wird aus einer Liebesgeschichte eine Fremdgehgeschichte. Und er jongliert nicht nur mit zwei, sondern gleich mit drei völlig unterschiedlichen Frauen. Und auf einmal passiert etwas, das gute Literatur darf und muss, aber ungewohnt neu im Meyerhoff-Universum ist: Man mag den Ich-Erzähler nicht mehr. Und nicht nur ein bißchen, man findet ihn bald so bescheuert, dass man das Buch kurzzeitig weglegen möchte, um sich wieder Dostojewski zu widmen. Das ist fatal in einer Serie die darauf beruht, ein Leben absolut heiter bis zu Tränen rührend zu erzählen. In dem Moment, in dem man den Ich-Erzähler Meyerhoff nicht mehr ausstehen kann, verliert das Buch tatsächlich an Zauber. So ehrlich und literarisch der Inhalt auch sein mag. Womöglich liegt es auch an der virtuosen Zeichnung Hannas, des stärksten Charakters im Buches. Ein Leser wie ich ist natürlich völlig vernarrt in ein Mädchen das tagaus tagein nichts anderes macht als Lesen, Schreiben und denken, denken, denken. Da verzeiht man es dem Ich-Erzähler nicht, dass er gleichzeitig was mit attraktiven Tänzerinnen und wuchtigen Bäckerinnen anfängt.
Quo Vadis Meyerhoff? Zwei Bücher lang hat er uns versucht zu überzeugen, dass er nicht wirklich ein Schauspieler ist. (Ist er natürlich schon! Und was für einer!) Jetzt hat er die vier Bücher seiner Serie "Alle Toten fliegen hoch" vollendet. Was kommt als nächstes?  Ein Roman a lá Knausgard über seine Zeit, als er ein Schriftsteller wurde? Ein großes belletristisches Werk außerhalb des Meyerhoff-Universums? 
Das Finale lässt jedenfalls noch Spielraum nach oben und die Hoffnung bleibt, dass noch viele weitere Bücher folgen!




Dienstag, 6. Februar 2018

Falcos Tod am 6. Februar 1998

Wo warst Du am Tag als Falco starb? 

Komischerweise gehöre ich zu denjenigen die sich an diesen Tag ähnlich klar erinnern wie an die Challenger Explosion oder den 11. September.


19 Jahre war ich alt. Und zusammen mit anderen Teenagern räumte ich den Kirchanschöringer Jugendraum aus, der wenige Monate später abgerissen werden sollte. Somit war Falcos Todestag auch irgendwie eine ziemlich billige Metapher für das Ende der Jugend. 
Als ich in der Folgezeit dem um sich greifenden Falco-Hype verfiel, hörte ich stundenlang "Jeanny" und schrieb eine meiner skurrilsten Kurzgeschichten nieder: Ein Mann wacht im blutbesudelten weißen Schnee auf, Gedächtnisverlust. Neben ihm ein ermordetes Märchen. Die beinahe verwehte Schneespur des Mörders führt vom Tatort weg in den Wald hinein. Noch benommen und orientierungslos stolpert der selbst schwer verletzte Mann im Schneegestöber der Spur hinterher auf der Jagd nach dem Mörder. Durch das Gestrüpp, durch den Wald, der Spur hinterher. Nach einer endlosen Weile endet die Spur der Lichtung neben der Leiche wo er vorher selbst gelegen hatte. Er selbst war der Mörder. Zur Geschichte
Mit den Hansis beim Roadtrip nach Margareten
Zwanzig Jahre lang war Falco und seine Musik immer wieder ein Quell unergründlicher Inspiration.
Es kam eine Phase in der ich wochenlang wie Falco sprach und auf Bad Taste Partys als Falco auftrat. Auch ein cooler Text der damals entstand: "Junge Römer": Ein junger Mann, passiv und fatalistisch in den Wogen seines Lebens ausharrend, erwartet stoisch den Ausbruch der befürchteten Alzheimer Erkrankung. Auf einer Party begegnet er Emmi, die er hoffnungslos liebt. Die steht sogar im Netz zum Nachlesen.
Letztes Jahr schließlich überredete ich die Kumpels beim Männertrip nach Wien, mit mir nach Margereten in die Ziegelofengasse 37 zu radeln. Erst suchten wir auf der falschen Straßenseite nach dem Haus in dem Falco als junger Bursch aufwuchs. Als wir eine ältere Dame nach Falco fragten, begann sie zu strahlen: "Der Hansi? Der hat dort gewohnt!" und sie zeigte auf das Haus gegenüber. Sie plauderte wehmütig von früher und von der Bäckerei die dort früher war. Und als wir sie fragte, ob sie den Falco kannte, schaute sie uns irritiert an. "Natürlich kannte ich den Hansi. Alle hier kannten den Hansi!"
Zwanzig Jahre lang hat mich Falco immer wieder begleitet. Momentan hat er sich sogar in mein neuestes Romanprojekt eingeschlichen. Arbeitstitel "Im Frühling sterben ist Scheiße". Name des Hauptprotagonisten: Johann "Falko" Holzner. Hoffentlich krieg ich da keine Copyright Probleme...

Kurzgeschichten inspiriert von Falcos Texten:

Kurzgeschichten inspiriert von Falcos Lyrics





Freitag, 2. Februar 2018

Drei Wochen mit straffälligen Jugendlichen im Auerhaus

Die Leseweisung Traunstein


Die Auerhaus-Collage mit mir und Meike K. Fehrmann
Leseweisung nennt man es, wenn jugendliche Straftäter dazu verdonnert werden, ein Buch zu lesen statt Sozialstunden zu leisten. "Die werden nie wieder etwas anstellen, wenn sie zur Strafe lesen müssen", kommentierte Ronja von Rönne unser Projekt. Ob sie recht behalten würde? Jedenfalls starteten wir mit sechs Jugendlichen die aufgrund Delikten von Körperverletzung bis hin zu  Drogenkonsum dazu verurteilt wurden, mit uns ein Buch zu lesen. Zusammen mit meiner Autorenkollegin
Meike K. Fehrmann planten wir drei Wochen Lektüre des wunderbaren Romans Auerhaus von Bov Bjerg. Der Berliner Autor bekam übrigens Wind von der Sache und machte seinem Ruf, einer der nettesten Autoren auf dem Erdball zu sein, alle Ehre: Kurzerhand schickte er uns eine Kiste mit Leseexemplaren vom Auerhaus. 
Um das Leseprojekt ein wenig spannender zu gestalten, verteilten wir die Rollen der Auerhaus Helden auf die Teilnehmer: Frieder, Höppner, Vera, Pauline, Harry, Cäcilia - jeder der Jugendlichen übernahm die Patenschaft einer der Romanfiguren und achtete speziell darauf, was sich diese für Konflikte mit dem Gesetz leistete. 
Gemeinsam wurde darüber diskutiert, wie die Handlungen der Auerhaus-Helden bei den Lesenden rüber kamen und welche Konsequenzen daraus entstanden. 
Heiss diskutiert wurde die Silvesterparty auf der Vera, obwohl sie mit Höppner zusammen war, mit dessen Kumpel Harry schlief. Jeder der jungen Teilnehmer/innen war sich in diesem Fall in seiner Empörung einig.
Schwierig war es, bei den vielen Delikten, die im Auerhaus begangen wurden, die Schwere der Vergehen und die Grenze zwischen Lausbubenstreich und Verbrechen festzustellen. Wobei stets klar war, dass das Handeln im Auerhaus Konsequenzen nach sich zog. Eine Erfahrung, die logischerweise jeder der verurteilten Jugendlichen selbst bereits gemacht hatte. 
Überrascht waren wir vom hohen Leseniveau der Gruppe. Da gab es den Teilnehmer der hervorragend vorlesen konnte und stolz erzählte, dass er als Schüler Vorlesewettbewerbe gewonnen hatte. Es gab den Teilnehmer, der begeistert die Texte interpretierte und von sich erzählte, dass er am liebsten Camus und Sartre liest. Und alle gemeinsam brachten sich in interessante Diskussionen ein. 
Nach drei Wochen Lesezeit blieben 4 Teilnehmer übrig, die nachweisen konnten, das Buch komplett gelesen zu haben. Einer der Teilnehmer wird das Versäumte in einem Aufsatz nachholen. Ein einziger war aus dem Auerhaus getürmt. Er tauchte nach dem ersten Treffen nicht mehr auf. Vermutlich zieht er, ähnlich wie es Frau von Rönne prophezeit hat, Jugendarrest dem Lesen eines Buches vor. 
Die anderen gaben am Ende der Leseweisung an, dass sie eine durchaus positive Erfahrung mit dem Lesen des Buches gemacht hätten. Nur eines hat den einen und anderen bei der Lektüre völlig aus der Bahn geworfen: Achtung, Spoileralarm! 
Dass Frieder nach zweihundert Seiten toller Zeit im Auerhaus trotzdem seinen Suizidversuch zu Ende bringt, war für die Lesenden ein Schockerlebnis. Sie waren sich zwar im Klaren, dass es ein realistisches Ende war. Trotzdem hatten sie sich gewünscht, dass zumindest Frieder am Leben bleibt, wenn es schon für die meisten Bewohner des Auerhauses kein Happy End gab. 
Ob es für die Jugendlichen selbst ein Happy End gibt, wird sich die kommenden Jahre zeigen....  Wir sind jedenfalls gespannt, ob sie jemals wieder ein Buch zur Hand nehmen.