Freitag, 26. Juni 2020

Live your life like Schweinsteiger - Ein Lebensratgeber

Wenn Schweinsteiger einen Lebensratgeber schreiben würde

Bücher die Lebensberatung, Selbstoptimierung und den Weg zum Glück versprechen, gibt es viele. Von John Strelecky über Laura Malena Seiler bis zu Eckhart Tolle habe ich einige davon gelesen. Wesentlich inspirierender fand ich zuletzt allerdings den Film von – nicht lachen – Till Schweiger – über Bastian Schweinsteiger. Blendet man die obligatorischen Fußballszenen, die Tore und Platzverweise aus und konzentriert den Film auf die wenigen, aber wirkmächtigen Kernaussagen zu Schweinsteigers Lebensphilosophie, erhält man einen faszinierenden Kompass, der nicht weniger erbauend wirkt als die oben erwähnten Lebensbejahungsbücher.

Bastian Schweinsteiger macht natürlich keine Anstalten, als Motivationscouch durch die Hallen der Hauptstädte zu tingeln, aber ausgeschlossen ist dies nicht. Denn vielleicht sind die Aussagen, die im Film seine Lebensphilosophie destillieren, teils so allgemein, dass einige Euro im Phrasenschwein landen. Verbunden aber mit dem Menschen, mit der Karriere, die hinter der Philosophie stecken, entsteht ein Lebensbild von dem man sich bedingungslos inspirieren lassen möchte. Oder ich zumindest. Vielleicht braucht man eine enge Verflechtung mit Schweinsteigers Karriere und den eigenen Lebensstationen, um sich so herrlich für dessen Lebensansichten begeistern zu können. Aber da gibt es außer mir sicher noch ein paar Millionen andere.

Oliver Kahn beschreibt knapp aber prägnant, wofür Schweinsteiger steht und wofür er ihn bewundert: Bastian habe in all den Jahren seine Lockerheit bewahrt. Er habe immer das getan, was er gerne tat und nie aufgehört, Spaß daran zu haben.

Für seine jugendliche-freche Art wurde er als 18-jähriger schon ein Liebling der Bayernfans. Ich liebte diese Legende, dass er damals mit einem Mädchen – angeblich seiner Cousine – ins Trainingsgelände der Bayern eingestiegen war, um ihr den Whirlpool zu zeigen.

Schweinsteiger selbst spricht im Film immer wieder davon, dass ihm das wichtigste ist, Erinnerungen zu kreieren. Das widerspricht zunächst Eckhart Tolles Lehre, achtsam im Augenblick zu verweilen. Aber nicht ganz. Denn nur, wenn man im Moment wirklich ganz da ist, gelingt es, die intensivsten Erinnerungen entstehen zu lassen. Erst in dem Moment, an dem er beginnt, den alten Erinnerungen mehr nostalgisch nachzuhängen, als neue zu kreieren, sollte man seine Gegenwart wieder überdenken.

Schweinsteiger hat zunächst also viel Spaß gehabt in seinem Leben. Beim Skifahren, beim Tennis, beim Fußball. Letztendlich entschied er sich für die Fußballkarriere, was vor allem seinen Skifreund und Konkurrenten Felix Neureuther erleichterte.

Bis ungefähr 2007 stand Schweinsteiger für Jugend, Unbeschwertheit und (Spiel)Freude. Während seines Reifeprozesses zum Führungsspieler begannen die ersten großen Niederlagen. Das verlorene EM-Finale gegen Spanien. Van Gaal lernt ihn schließlich zum zentralen Mittelfeldspieler um und Schweinsteiger reift zur Weltklasse. Beim Champions League Finale „Dahoam“ in München ist Schweinsteiger der absolute Führungsspieler. Aber seine Generation, die er zusammen mit Philipp Lahm prägte, ist in der Kritik, im richtigen Moment keinen Biss, keine Autorität zeigen zu können. Durch die flache Hierarchie, die beide prägen, nennt man sie hämisch „Chefchen“.

In einem dramatischen, traumatisierenden Finales schafft es die haushoch überlegene Mannschaft der Bayern nicht, einen sicher geglaubten Sieg über die Runden zu bringen. Da gibt es einen Ausgleich in letzter Sekunde, einen verschossenen Elfmeter in der Nachspielzeit und ein Elfmeterschießen, in dem gleich mehrere Bayernprofis die Hosen voll hatten. Schweinsteiger trat zum entscheidenden Elfer an. Und der Ball prallte vom Innenpfosten aus dem Tor heraus.

Minutenlang liegt Schweinsteiger heulend am Boden, den Kopf unter dem Trikot versteckt. Von Spaß und Freude und guten Erinnerungen ist nichts mehr geblieben. Es ist eine unfassbare Niederlage. Oliver Kahn versuchte es zu beschreiben: Da schauen einem 500 Millionen beim Versagen zu. Es war nicht nur die bitterste Niederlage des FC Bayern. Es war auch die persönliche Niederlage von Bastian Schweinsteiger.  Alle Welt fragte sich: Kann jemand nach so einem traumatischen Erlebnis jemals wieder erfolgreich sein?

Trotz allem Druck, es ist immer noch Fußball und Schweinsteiger erklärt, dass Fußball ihm einfach Spaß macht. Und über den Spaß kehrte er auch wieder in die Erfolgsspur zurück.

Die zwei Jahre nach der niederschmetternden Niederlage im Finale Dahoam wurden so zu einem Fußballmärchen. Trotz Verletzungssorgen – Schweinsteiger war nun nicht mehr der Jüngste – trieb er sowohl die Bayern als auch die Nationalmannschaft als Führungs – und Vorbildspieler zu den beiden größtmöglichen Triumphen. Erst gewann er das Triple mit den Bayern. Ein Jahr später folgte dieses eine Spiel, das ihn – der schon zuvor als Fußballgott in München verehrt wurde – auch weltweit unsterblich machen würde. Das WM Finale gegen Argentinien. Die Welt schaute einem Spieler zu, der körperlich an seine Grenzen ging, der blutend auf dem Rasen lag, der sich, sich seiner Messias-Rolle voll und ganz bewusst, für die Mannschaft, für ein ganzes Land aufopferte. Das entscheidende Tor hat Mario Götze geschossen. Aber das Bild, das für alle Zeit in Erinnerung bleiben wird, ist der blutende Schweinsteiger, der um jeden Ball kämpfte als ginge es um sein Leben.

Ob man nach diesem Spiel noch von Lockerheit und Spaß sprechen kann, sei bezweifelt. Aber dennoch lernt man etwas von Schweinsteiger in diesem Finale. „Es war das perfekte Spiel“, erklärt er im Film. „Ich habe etwas gespürt dabei.“ In diesen 120 Minuten war er ganz da, hat das Leben mit jeder Faser seines Körpers in Freude und Schmerz gelebt. Wenn man danach noch mit dem größtmöglichen Erfolg in seinem Beruf belohnt wird, hat man alles richtig gemacht.

Nach diesem Film stellt man sich selbst die Frage: Hat man sein Leben bisher gelebt wie Schweinsteiger? Hat man beruflich das getan, was einem Spaß macht? Hat man die Lockerheit bewahrt? Hat man Verantwortung für andere übernommen? Ist man fähig, aus Krisen etwas Gutes entstehen zu lassen? Kreiert man Momente, in denen man das Leben spürt und die so intensiv sind, dass man sich für immer an sie erinnern wird?

Ich habe mir all diese Fragen gestellt und wäre beinahe in eine verfrühte Midlife-Crisis gerutscht. Was habe ich schon geleistet? Nicht einmal Weltmeister bin ich bis jetzt geworden! Aber ich habe mir auch vorgenommen: Be a little bit like Schweinsteiger!