Dienstag, 31. Oktober 2017

Unser Buchclub liest: Sven Regener - Wiener Strasse

Sven Regener - Wiener Straße


Unser Buchclub Traunstein hat sich nach einem Jahr Planung  und einem halben Dutzend nie
besprochener Bücher tatsächlich ein erstes Mal getroffen.
Traunstein, das ist literarische Provinz. Während zeitgleich im Studio 16 die Chiemgau-Autoren e.V. gegen dieses Klischee anzustinken versuchten, brannte im Salon in der Steffgenstrasse der Buchclub Traunstein ein Tischfeuerwerk der heiteren Intellektualität ab. Zumindest in der Theorie. Denn einerseits war das Essen sehr gut und andererseits sabotieren zwei Kinder und ein Hund mit Verve die Entwicklung germanistischer Jahresbestleistungen. 
Egal, nach einigen Gläsern Wein traute sich die illlustre Gruppe, eine Runde "Mimikry - Das Spiel des Lesens" zu zelebrieren. Teilnehmer waren die internationale Süsswassermuschel-Koryphäe Dr. Stöckl, ihr Fiancee Karl, bekannt aus Buchbranche und Verlagswesen. Sowie Traunsteins ehemals zweitbester Schriftsteller,  der zusammen mit seiner Gattin Nicole die Gastgeberrolle innehatte.
Man war sich einig, dass das Buch von Beginn an fürchterlich auf die Nerven geht. Dies allerdings
ein Kompliment an den Autor darstellt. Denn das müsse man erst einmal schaffen, die Personenkonstellationen so aufeinanderprallen zu lassen, dass man nach drei Seiten jeden einzelnen für einen kompletten Vollidioten hält. Regener-Experte Karl, der als einziger alle vorherigen vier Bände des Frank-Lehmann Epos gelesen hatte, lobte gar, auch Wiener Strasse sei exakt so wie sich ein Fan dies wünschte.
Da der Rest erst zwischen 5 und 120 Seiten des Buches gelesen, einer gar das Buch beim Friseur vergessen und die anderen Mitglieder des Buchclubs aus terminlichen Verhinderungen rechtzeitig abgesagt hatten, verständigte man sich, nicht ÜBER das Buch zu reden, sondern das Buch zu SEIN.
Denn das ist die Aufgabe im Spiel Mimikry - erfunden im Umfeld von Holm Friebe, Philipp Albers und Wolfgang Herrndorf: Ähnlich wie im Spiel Nobodys Perfect muss jeder Teilnehmer den Anfang eines ausgewählten Romanes erfinden. Gewonnen hat, wer die meisten Mitspieler davon überzeugt, sein Romananfang sei der wahre bzw. wer den richtigen errät.
Vorgegeben ist nur der erste Satz. Im Falle von Wiener Strasse war dies: "Die Tür fiel zu und es war zappenduster."
So und jetzt seid Ihr dran: Welcher Romananfang ist der richtige? Macht mit bei

Mimikry - das Spiel des Lesens

Sven Regener: Wiener Strasse

Dr. Stöckl, Bernhard, Nicole

  1. Die Tür fiel zu und es war zappenduster. Jemand hatte die gesamte Wohnung schwarz gestrichen. Schwarz. Ein Schwarz das kein Licht reflektierte. Erwin konnte die Hand vor Augen nicht sehen. Aber er wusste, die Deppen waren alle da: Frank Lehmann, Chrissie seine Nichte und Karl.
  2. Die Tür fiel zu und es war zappenduster. Frank Lehmann versuchte mit beiden Armen, die Wände abtastend, den Lichtschalter in dem völlig schwarzen Raum zu finden, doch als er ihn nach einer Weile fand passierte - erstmal nichts. "Oh Menno, Erwin, das funktioniert ja mal überhaupt nüschd, wie sollen wir hier irgendwann einziehen?", schimpfte P.Immel aus dem Dunkel. "Halt du hier mal eben gleich den Rand, du hast gar nichts zu melden, du Pfosten!", schallerte es aus dem anderen Ende des Raumes zurück.
  3. Die Tür fiel zu und es war  zappenduster. Erwin stellte den Werkzeugkasten ab, den er für die Pfeifen mitgebracht hatte, denn das waren sie, Pfeifen, wie bin ich hier nur rein geraten, fragte er sich schon den ganzen Tag immer wieder rhetorisch, meist in Gedanken, manchmal auch laut, aber weder Karl Schmidt noch Frank Lehmann, der offensichtlich Karl Schmidts Lieblingskumpel war, noch HR und schon gar nicht Chrissie, seine Beknackte Nichte, hatten sich auch nur angesprochen oder sonstwie kompetent gefühlt, mal irgendwas darauf zu antworten
  4. Die Tür fiel zu und es war zappenduster. Was für ein Idiot dieser Vormieter doch war, der alle Räume seiner Wohnung schwarz tapeziert hatte. Das würde noch eine Ewigkeit dauern, bis die Wohnung wieder in einem Zustand ist, bei dem man nicht das Gefühl bekommt, in einem Sarg zu leben. Fraglich war, ob diese Idioten, die sonst nichts auf die Reihe brachten, das hinkriegen würden, dachte Erwin. Es würde doch nur wieder an ihm hängen bleiben.
Gewonnen hat übrigens keiner. Obwohl einer beinahe zum Text 2 tendierte, erwiesen sich alle als Wiener Strasse-Experten und errieten den richtigen Anfang.

Auflösung:

1) Bernhard 2) Dr. Stöckl 3) Sven Regener 4) Nicole

Mehr zum Spiel hier: Mimikry - Das Spiel des Lesens


Montag, 9. Oktober 2017

Meine Crew, meine Schreibschule, mein Autorennetzwerk

Warum ein Schreibnetzwerk für Autoren so wichtig ist

Die Memoiren von Traunsteins
zweitkleinstem Schriftsteller
Vergesst alles, was ihr jemals über Autoren und das Schreiben gehört habt! Schriftsteller sind keine Genies die den ganzen Tag in der finsteren Stube sitzen und Genialitäten aufs Papier bannen. Literaten brauchen Inspiration, brauchen ihre Gang, sie brauchen ihre Autorenkneipe! Kein namhafter Schriftsteller kam ohne seine Autorenbuddies aus. Ziemlich beste Freunde, manchmal Feinde, sie hassten und sie liebten sich. Sie waren gleichermaßen Konkurrenz und Inspiration. Was sie immer taten: Sie wirkten aufeinander ein, beeinflussten sich, bis das Werk des jeweils anderen neue Horizonte überschritt. Goethe chillte mit Schiller. Thomas Mann battlete sich mit seinem Bruder Heinrich. Hemingway feierte mit Scott F. Fitzgerald und der ganzen Pariser Gang. Es gab eine Weimarer Klassik, Heidelberger Romantik, eine Frankfurter Schule. 
Auch ein kleiner Hobbyautor im Chiemgauer Voralpenland, der für kurze Zeit einmal Traunsteins zweitbester Schriftsteller war, träumte davon, einmal Teil einer Autorenclique zu sein. Wenn er sinnierend über den Stadtplatz flanierte, saß er gedanklich in den Wiener Cafés. Dort trank er Schnäpse mit Kehlmann und Glavinic, lästerte mit Marco Michael Wanda über Stefanie Sargnagel und lugte verstohlen zu Vea Kaiser, unbestritten Österreichs zweitschönster Autorin, hinüber.
Dann las er, mindestens einmal zu oft, Herrndorfs Arbeit und Struktur und saß nächtelang mit Holm, Cornelius und Philipp im Prassnik oder spielte Fußball an der Bergstraße. So träumte der kleine Literat tagaus tagein davon, einmal Teil einer Autorenclique zu sein.
Doch mit der Zeit reichte ihm das Träumen nicht mehr. Er wollte wirklich echte Schriftsteller zum Freund haben. Autoren mit denen man über Schreibblockaden jammern und vom großen Opus Magnum fantasieren konnte. Gleichgesinnte, die die Sorgen des Schreibenden teilten und mit denen er legendäre Lesungen veranstaltete und Veröffentlichungserfolge feierte. 
Monat für Monat semperte er in weinseliger Stimmung beim Stammtisch der Chiemgau-Autoren von diesem großen Traum und fragte Michael Inneberger und Meike K. Fehrmann seufzend, ob sie ähnliche Träume hegten. 
Der kleine Literat suchte auch in Schrobenhausen, München und Barliano. Doch weder der Norbert noch der Arwed konnten ihm weiterhelfen. Und eine Gruppe Wildschweine zuckte grunzend die Schultern.
Es musste doch irgendwo in Bayern eine coole Clique spannender Autoren geben die Bock hatten, Abends gemeinsam Fußball zu spielen und danach ins nächste Wein-Beisl zu gehen und, vielleicht nicht gleich zu koksen, aber zumindest über Proust zu diskutieren. 
Dem kleinen Literat kam die Digitalisierung 4.0 entgegen. Auch wenn sie in seiner Heimatstadt noch um die Digitalisierung 1.8 herumdümpelte. Er nutzte sämtliche Social Media Kanäle und schrieb alle wilden Jungautoren an, die er bisher kennengelernt hatte: Den Fabian aus Würzburg, den Matthias aus München, den Ralf aus Passau. Doch auch sie hatten keine Ahnung, wie man eine coole Autorenclique gründen könne. 
Letztens holte er sich in Berlin Rat bei der Ronja, einem Mädel aus seinem Nachbardorf und bei ihrem Freund Tilman. Auch sie konnten ihm nicht dabei weiterhelfen, endlich in Gesellschaft supercooler Autoren Bier zu trinken und über Literatur zu diskutieren. Sie boten ihm mitleidig an, ihm Cornelius, Holm und Philipp vorzustellen. Aber leider hatten sie weder die Handynummer vom Glavinic, noch die Email von der Vea Kaiser. Deprimiert winkte der kleine Literat ab. 
Er würde weitersuchen! Irgendwo musste doch seine Crew, seine Schreibschule, sein Autorennetzwerk auf ihn warten! Spätestens am Montag beim Stammtisch der Chiemgau-Autoren würde er wieder nachfragen, ob nicht jemand einer passenden Literaten-Gang irgendwo begegnet sei. Er würde nicht aufgeben! Nein, er wird nicht aufgeben!

Sonntag, 8. Oktober 2017

Gibt es ein Arbeit und Struktur - Wiki?

Eine Linkliste

Wolfgang Herrndorfs Blog "Arbeit und Struktur" ist auch in Buchform ein eindrucksvoll zu lesendes literarisches Werk. Der Mehrzahl der Leser, die nicht mit der Berliner Literaturszene vertraut sind, werden die vielen aufgeführten Namen, Örtlichkeiten und Querverweise zunächst wenig sagen. In den Internetsuchmaschinen landen demzufolge die Frage nach einem "Arbeit und Struktur Wiki" oder "Wer ist C?" dementsprechend weit oben.
Es ist zu erwarten, dass es eines Tages ein Arbeit und Struktur - Wiki geben wird. Zu wirkmächtig war die Literatur, die der Berliner Autor Herrndorf hinterlassen hat. Zudem ist Arbeit und Struktur eine einzigartige Mischung aus Autobiographie, Krankheitsbericht, Momentaufnahme der Berliner Literaturszene und vieles mehr.
So sinnvoll für die heutigen und späteren Leser ein Arbeit und Struktur - Wiki wäre, es bleibt ein schmaler Grad: Liest sich das Buch für den gewöhnlichen Leser wie ein letztes Zeitzeugnis eines todkranken Schriftstellers, so ist es für die Beteiligten ein noch nicht lange zurückliegender Live-Bericht eines mehr als drei Jahre währenden Dramas. Eines, das mit dem Tod des Freundes und Kollegen endete.
Da die literarische Bedeutung mit den Jahren voraussichtlich weiter steigen wird, stelle ich hier für interessierte Leser eine Linkliste zu wissenswerten Hintergrundinformationen zusammen die helfen könnten, "Arbeit und Struktur" in verständlicheren Kontext zu setzen:

Linkliste zum Thema Arbeit und Struktur


Der Werdegang von Wolfgang Herrndorf vom Maler zum Schriftsteller: Hier klicken

Eine Auswahl der in Arbeit und Struktur aufgeführten Personen: Hier klicken

Die Bücher: Literatur in Arbeit und Struktur: Hier klicken

Wer ist die ZIA? Die ZIA und der Bachmannpreis: Hier klicken

Eine schöne Stelle: Der Ort an dem Herrndorf starb: Hier klicken

Fotoserie zu den Orten in Arbeit und Struktur: Hier klicken

Holm Friebe über Wolfgang Herrndorf: Hier klicken

Die Zentrale Intelligenz Agentur ZIA 2006/2007:


Mittwoch, 4. Oktober 2017

Bekenntnisse des Hochstaplers Bernhard S

Wie ich beinahe Protagonist meines Lieblingsbuches geworden wäre

In Berlin fällt es leichter, der zweitbeste Schriftsteller aus
Traunstein zu sein
Bekenntnis: Nein, ich bin nicht der zweitbeste Schriftsteller Traunsteins. Auch bin ich nicht der in meinen Blogbeiträgen beschriebene  brillante Jungliterat der die Chiemgauer Kulturszene begeistert. Ich habe meine Leser in jedem einzelnen Post betrogen. In Wirklichkeit bin ich ein Plagiator. Jemand der schreiben will wie Glavinic in den "Glavinic"-Romanen und Lottmann in seinen "Lottmann" Tagebüchern. Einer der dabei die großen Namen der Wiener - und Berliner Szene gegen die der Chiemgauer Kultur er- und nebst seinen setzte.
Als Hochstapler enttarnt wurde ich ausgerechnet von jenen Kreisen denen ich meinte, den falschen Titel "Traunsteins zweitbester Schriftsteller" abspenstig machen zu müssen: Dem Milieu der Chiemgauer Krimi-Autoren. Enttarnt haben sie mich als biederen Beamten des gehobenen Dienstes, einen schreibenden Hochstapler mit mangelnden Grammatik- und Rechtschreibkenntnissen, aber vorzüglichem Ego. 
Geschasst von jenen Kulturkreisen zu denen mir mein früherer Lehrer Niemann riet, gegen sie "anzustinken" - in deren wohlige Wärme es mich in Wahrheit magisch hinzog, flüchtete ich an den einzigen Ort an dem ich noch Traunsteins zweitbesten Schriftsteller spielen durfte: Nach Berlin.
Kastanienbäume, Kastanienallee, Prenzlauer Berg. Eine laue Herbstnacht. Verstohlener Blick durch das Schaufenster eines Buchladens wo ein echter Schriftsteller eine Lesung hält und mehr als zehn  Zuhörer im Publikum sitzen. Berlin. Wehmut.
Weiter in die Szenekneipe. Treffen mit Berlin Mittes zweitbester Feuilletonistin und dem zweitbesten aus Bielefeld stammenden Schriftsteller. Sie wissen noch nicht, dass ich gar nicht Traunsteins zweitbester Schriftsteller bin. Oder sie wissen es längst. Auch sie haben Internet. Sie lassen sich nichts anmerken. Diskussion auf Augenhöhe. Gerührt.
Nach den harten Wochen seit meiner Enttarnung und der gemeinen Mail die ich seitdem bekommen habe, Austausch über Shitstorms. Es war bereits mein zweiter. Schon vor drei Jahren hatte ich einmal eine unschöne Mail bekommen.
Gespräch über Literatur. Natürlich. Lottmann sei in der Stadt und auch sein Freund und Wegbegleiter Holm Friebe kehre regelmäßig in diese Kneipe ein. Ich, der Hochstapler werde hellhörig. Weiß sie, dass ich in Wirklichkeit ein gar nicht so höflicher Paparazzo bin, der durch eine Überdosis des Buches "Arbeit und Struktur" dem Wahn erlag, ein guter Freund von Holm, Cornelius und Joachim zu sein? Ist das Treffen etwa als letzter Coup des zweitbesten Schriftstellers Traunsteins geplant, ehe seine nie vorhandene Autorenkarriere wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt? Geht der Hochstapler so weit, die kostbare Zeit der nettesten Shitstorm-Auslöserin Deutschlands und die ihres Freundes zu missbrauchen, nur um einmal in derselben Kneipe wie seine Idole zu sitzen?
Und um Haaresbreite wäre die Utopie des Hochstaplers aufgegangen: Die Feuilletonistin greift zum Handy und lädt kurzerhand Cornelius runter in die Kneipe ein. "Mit wem bist du da?", antwortet er kurz darauf. Wird Cornelius wirklich kommen und dem Pseudo-Literaten eine letzte große Bühne bereiten? "Mit Bernhard S." tippt die Journalistin in ihr Handy. 
Cut.

Donnerstag, 28. 11.2017 22:59
Im Schwarzsauer mit R. und T. Rauchschwaden. Mein drittes Bier und jede Menge Leitungswasser. R. hat Cornelius eingeladen und er antwortet mit einem Zitat aus meinem Blog. Er kommt nicht, aber er hat mich gelesen. Was viel schlimmer ist. Etwas verrutscht. Ein unwirklicher Abend kippt endgültig ins Surreale. An Nächten wie diesen klafft das Universum auf. Ich eine blasse Figur meines Lieblingsbuches. Hilflos begeistert und peinlich berührt von mir selbst. Derjenige der gerade diese Geschichte verfasst sollte sich mehr Mühe beim Skizzieren seiner Hauptfigur machen. Kill your darlings. Ich muss nach Hause. Kastanienallee, Kastanien. Steige in die falsche U-Bahn ein. Träume die ganze Nacht von Lottmann.