Donnerstag, 3. November 2016

Zeitreise in die Bücherei meiner Kindheit

Oder: Kirchanschöring hat wieder eine Literatin!


Gut besucht war die Bücherausstellung im Pfarrsaal
(in den Achtziger Jahren)
Ein Ausflug in meine Kindheit. Der Pfarrsaal, in dem schon meine Mama vor 30 Jahren die Bücherausstellung der Bücherei Kirchanschöring veranstaltet hat. Natürlich nicht mehr derselbe. Er wurde vor vielen Jahren abgerissen. Und an gleicher Stelle neu aufgebaut. Aber manche der katholischen Wandverzierungen (siehe Bild rechts) sind dieselben wie damals. Es riecht auch wie damals nach Kaffee und Kuchen. Und die Bücher bieten über Spiegel-Bestseller bis zu Franz Josef Strauß-Memoiren dieselbe Bandbreite wie 1986. Die Kinder tollen zwischen den Büchertischen herum. Eines sieht fast so aus wie ich als Kind. Gleich müssen sie leise sein, weil die Erwachsenen irgendeinem Schriftsteller zuhören wollen. Nämlich mir! 
Luise Rinser, Walburga Gierlinger und jetzt also ich. Das sind die Literaten die in Anschöring leben oder lebten und ins Dorf geladen wurden, um aus ihrem Werk zu lesen. 
Im Hintergrund: Die Reste vom Eine-Welt-Laden
Ich habe eine lustig-freche, über die Maßen ironische Ansprache vorbereitet, um dieser Ehre gerecht zu werden. Außerdem rechne ich eh nicht, dass außer meiner Schwester noch jemand kommt. Aber es kommen sehr, sehr viele Leute. Und scheinbar tatsächlich wegen mir - und nicht wegen der hervorragenden Kuchen. Die Lässigkeit schwindet von Minute zu Minute und ich muss mir eingestehen, dass ich immer aufgeregter werde. Als die Lesung beginnt, hält auch noch der Bürgermeister eine Rede und lobt meine Geschichten. Ich höre erstaunt zu. Wenn einem sowas nicht den Stecker zieht, was dann?
Ich scherze trotzdem, dass ich meinen ersten Roman ja mit 17 geschrieben hätte und es ganze 20 Jahre dauerte, bis ich endlich mal in die Bücherei eingeladen wurde. Das lag sicher an der Büchereileiterin damals. Achso, das war ja meine Mutter. 
Erstaunt bin ich, als ich im Publikum Frau Scharbert entdecke. Meine Lehrerin in der ersten Klasse. Die Frau, die mir das Schreiben beigebracht hat. Sie ist nun 78, fast blind, kauft mir trotzdem mein Buch ab. Sie war die netteste Lehrerin die man sich nur vorstellen konnte. Und sie weiß noch genau, wo ich gesessen war. Hinten links. Neben Hubert Brudl. "Halb Mensch, halb Nudel", schießt es mir durch den Kopf und beiße mir auf die Lippen. "Herbert", korrigiere ich sie. Sie fragt mich, ob ich immer noch alle Namen der Dinosaurier weiß. Also war ich damals schon ein Nerd. Das erklärt manches.

Nächstes Mal lese ich wohl die "Kleinstadtrebellen"
Ich lese zwei Kapitel aus „Sterne sieht man nur bei Nacht“ und ein erstes Mal begreife ich, was ich Menschen, die meine Mama kannten, mit dem Buch eigentlich zumute. Wieder blicke ich nach einem emotionalen Kapitel in aufgerissene, feuchte Augen. Aber ich bin diesmal vorbereitet und beende die Lesung mit einem der lustigsten Einträge aus dem Elterntagebuch: Der Geschichte mit Wacken und dem Flüsterfuchs. Sofort springen meine Kinder daher und hüpfen auf meinen Schoss. Das Publikum lacht herzlich und später sagt jemand, dass meine Mama wohl sehr stolz auf mich gewesen wäre. Aber was hätte ich wohl vorgelesen, wenn sie nicht gestorben wäre?
Aus dem Publikum werde ich gefragt, ob ich nicht Geschichten erfinden könnte. Doch, kann ich! Behaupte ich. Aber lange fällt mir keine ein. Denn selbst der Finstermann war ja irgendwie Tatsache. Schließlich fällt mir noch der Rosenheim- Krimi mit der explodierten Prostituierten ein. Alle starren mich an, als glaubten sie mir nicht, dass die Geschichte ebenfalls erfunden ist. Vielleicht hätte ich ja vor zehn Jahren diese Geschichte vorgelesen. Und darauf wäre Mama mit Sicherheit nicht stolz gewesen. 
Zuletzt bekomme ich noch einen Korb von der Büchereileiterin. Einen voller Gemüse vom Bio-Michi. Meine Kinder jubeln. 
Zwei Tage später begegne ich am Friedhof der Gierlinger Burgi. "Kirchanschöring hat wieder eine Literatin", murmle ich. Das war damals die Schlagzeile nach ihrer gefeierten Lesung. Vielleicht habe ich mich deshalb mit dem Roman so ins Zeug gelegt, um sie als Anschöringer Literatin abzulösen. Aber noch ist es nicht so weit. "Ich habe noch den ganzen Rechner voller Geschichten!" flüstert die Literatin und zwinkert mir kämpferisch zu. 

3 Kommentare:

  1. Auch ich habe mich gefreut, das so viele gekommen sind, um Dir zu zu hören. Und deine Schwester hat neben mir auch noch eine Freundin mitgebracht, nicht nur so zur Unterstützung, sondern weil Du, auch wenn Du es manchmal selbst nicht glaubst, wieder ein hervorragendes, menschliches Buch geschrieben hast. Menschlich, weil dieses Buch einen zum Lachen und Weinen bringt, man braucht Abstand und sucht doch auch wieder die Nähe um zu erfahren, wie es weiter geht.

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  2. Ja, meine Schwester sorgt schon dafür, dass der Laden läuft : ) Schön, dass Ihr dabei wart!

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  3. Anrührender Erlebnisbericht. Gratuliere!
    AG

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