Donnerstag, 10. November 2016

Die Herrschaft des Pöbels in der postfaktischen Zeit

Die Herrschaft des Pöbels in der postfaktischen Zeit


Foto: Gage Skidmore / Wikipedia
Donald Trump ist neuer US-Präsident. Was vor Jahren noch wie ein gelungener Witz klang, ist inzwischen Realität geworden. Ähnlich wie beim Brexit, bei dem selbst die Befürworter nicht wirklich daran glaubten, dass sie gewinnen könnten, hat erneut die Mehrheit demokratischer Wähler eine objektiv unvernünftige Entscheidung getroffen. 
Demokratie ist nichts anderes als die Herrschaft des Volkes. Wie durch ein Wunder hat sie im letzten Jahrhundert sehr gut funktioniert. Was aber geschieht, wenn die Mehrheit der Wähler keine Demokratie will?
Zwei gefährliche Trends zeichnen sich für die kommenden Jahre ab: Ein immer größer werdender Teil der Wähler lehnt Politik, Politiker und das System ab. Und: Dieser Teil der Bevölkerung hat kein Vertrauen mehr in die Presse, in die Institutionen, in die Informationen die in den Haupt-Medien verbreitet werden. Sie glauben dem, was sie im Internet, in den Sozialen Medien in denen sie verkehren, lesen. Es gibt bereits einen Begriff dafür: Die "postfaktische" Zeit. Auch Trump und die Brexit-Befürworter haben dies für sich genutzt. Trump brüstete sich damit, dass ihm seine Wähler auch offenkundige Lügen glauben würden. Zum Brexit kursierten Zahlen und Daten die nichts mit den Tatsachen zu tun hatten, aber die Argumente der Brexit-Befürworter zementierten. 
Wie kann derartiges geschehen? Eine Erklärung könnte sein, dass man im Internet zum Großteil mit Ansichten konfrontiert wird, die den eigenen ähneln: "Das könnte Sie interessieren:..." Als Konsequenz wird das eigene Weltbild - so sehr es auch Fakten widerspricht - wieder und wieder bestätigt. So kann es einem durchaus so vorkommen, dass Sachsen von kriminellen und islamistischen Flüchtlingen überrannt wird, Merkel an allem schuld ist und jeder so denkt - nur in der offiziellen Presse ist davon nichts zu lesen. Die sogenannten "Bots" - maschinengesteuerte Meinungsmacher, die Diskussionen in Sozialen Netzwerken in bestimmte Richtungen lenken, leisten dazu ebenfalls ihren Anteil.
Natürlich hat niemand in Deutschland das Recht, mit den Fingern auf die Amerikaner und die Briten zu zeigen und diese als das jeweils dümmste Volk des Jahres zu bezeichnen. In Deutschland wird erst 2017 gewählt und nichts spricht momentan dafür, dass die Deutschen recht viel intelligenter wählen werden.
Vieles erinnert an die 20er, 30er Jahre. Zu meiner Schulzeit in den 90er Jahren erschien es nicht nachvollziehbar, wie ein offensichtlich irrer Kasperl wie Hitler Wahlen gewinnen konnte. Obwohl wir heute, 20 Jahre später in einem Zeitalter der totalen Information leben, feiert eine Partei mit ähnlich abstrusen Führerfiguren Wahlerfolg um Wahlerfolg. Die NSDAP hatte übrigens nie eine Mehrheit erreicht. Auch heute würden 30 Prozent der Stimmen bereits reichen, um eine Kanzlerin Storch zu stellen. Noch sind wir noch weit weg davon. Aber das dachte man vor 90 Jahren auch über die NSDAP.
Einzig die stabile Wirtschaftslage hat bisher noch schlimmeres verhindert. Denn unterm Strich geht es auch den Armen in diesem Land verhältnismäßig gut. Es ist eine gefühlte Armut. Ein abgehängt-werden von den Reichen. Ein Schmelzen der Mittelschicht, das auf der ganzen Welt einen Rechtsruck ausgelöst hat. 
Je mehr man darüber nachdenkt, desto mehr Fragen tun sich auf. Einfache Lösungen gibt es nicht mehr. Wichtig erscheint mir dennoch, die Fakten wieder herzustellen, indem man mit den Menschen redet, redet, redet. Ansonsten schlittern wir tatsächlich in ein Zeitalter der Olchokratie - der Herrschaft des Pöbels, wenn sich die Bevölkerung nicht mehr kritisch mit Fakten auseinandersetzen will und nur noch glaubt, was ihr in den Kram passt.

Donnerstag, 3. November 2016

Zeitreise in die Bücherei meiner Kindheit

Oder: Kirchanschöring hat wieder eine Literatin!


Gut besucht war die Bücherausstellung im Pfarrsaal
(in den Achtziger Jahren)
Ein Ausflug in meine Kindheit. Der Pfarrsaal, in dem schon meine Mama vor 30 Jahren die Bücherausstellung der Bücherei Kirchanschöring veranstaltet hat. Natürlich nicht mehr derselbe. Er wurde vor vielen Jahren abgerissen. Und an gleicher Stelle neu aufgebaut. Aber manche der katholischen Wandverzierungen (siehe Bild rechts) sind dieselben wie damals. Es riecht auch wie damals nach Kaffee und Kuchen. Und die Bücher bieten über Spiegel-Bestseller bis zu Franz Josef Strauß-Memoiren dieselbe Bandbreite wie 1986. Die Kinder tollen zwischen den Büchertischen herum. Eines sieht fast so aus wie ich als Kind. Gleich müssen sie leise sein, weil die Erwachsenen irgendeinem Schriftsteller zuhören wollen. Nämlich mir! 
Luise Rinser, Walburga Gierlinger und jetzt also ich. Das sind die Literaten die in Anschöring leben oder lebten und ins Dorf geladen wurden, um aus ihrem Werk zu lesen. 
Im Hintergrund: Die Reste vom Eine-Welt-Laden
Ich habe eine lustig-freche, über die Maßen ironische Ansprache vorbereitet, um dieser Ehre gerecht zu werden. Außerdem rechne ich eh nicht, dass außer meiner Schwester noch jemand kommt. Aber es kommen sehr, sehr viele Leute. Und scheinbar tatsächlich wegen mir - und nicht wegen der hervorragenden Kuchen. Die Lässigkeit schwindet von Minute zu Minute und ich muss mir eingestehen, dass ich immer aufgeregter werde. Als die Lesung beginnt, hält auch noch der Bürgermeister eine Rede und lobt meine Geschichten. Ich höre erstaunt zu. Wenn einem sowas nicht den Stecker zieht, was dann?
Ich scherze trotzdem, dass ich meinen ersten Roman ja mit 17 geschrieben hätte und es ganze 20 Jahre dauerte, bis ich endlich mal in die Bücherei eingeladen wurde. Das lag sicher an der Büchereileiterin damals. Achso, das war ja meine Mutter. 
Erstaunt bin ich, als ich im Publikum Frau Scharbert entdecke. Meine Lehrerin in der ersten Klasse. Die Frau, die mir das Schreiben beigebracht hat. Sie ist nun 78, fast blind, kauft mir trotzdem mein Buch ab. Sie war die netteste Lehrerin die man sich nur vorstellen konnte. Und sie weiß noch genau, wo ich gesessen war. Hinten links. Neben Hubert Brudl. "Halb Mensch, halb Nudel", schießt es mir durch den Kopf und beiße mir auf die Lippen. "Herbert", korrigiere ich sie. Sie fragt mich, ob ich immer noch alle Namen der Dinosaurier weiß. Also war ich damals schon ein Nerd. Das erklärt manches.

Nächstes Mal lese ich wohl die "Kleinstadtrebellen"
Ich lese zwei Kapitel aus „Sterne sieht man nur bei Nacht“ und ein erstes Mal begreife ich, was ich Menschen, die meine Mama kannten, mit dem Buch eigentlich zumute. Wieder blicke ich nach einem emotionalen Kapitel in aufgerissene, feuchte Augen. Aber ich bin diesmal vorbereitet und beende die Lesung mit einem der lustigsten Einträge aus dem Elterntagebuch: Der Geschichte mit Wacken und dem Flüsterfuchs. Sofort springen meine Kinder daher und hüpfen auf meinen Schoss. Das Publikum lacht herzlich und später sagt jemand, dass meine Mama wohl sehr stolz auf mich gewesen wäre. Aber was hätte ich wohl vorgelesen, wenn sie nicht gestorben wäre?
Aus dem Publikum werde ich gefragt, ob ich nicht Geschichten erfinden könnte. Doch, kann ich! Behaupte ich. Aber lange fällt mir keine ein. Denn selbst der Finstermann war ja irgendwie Tatsache. Schließlich fällt mir noch der Rosenheim- Krimi mit der explodierten Prostituierten ein. Alle starren mich an, als glaubten sie mir nicht, dass die Geschichte ebenfalls erfunden ist. Vielleicht hätte ich ja vor zehn Jahren diese Geschichte vorgelesen. Und darauf wäre Mama mit Sicherheit nicht stolz gewesen. 
Zuletzt bekomme ich noch einen Korb von der Büchereileiterin. Einen voller Gemüse vom Bio-Michi. Meine Kinder jubeln. 
Zwei Tage später begegne ich am Friedhof der Gierlinger Burgi. "Kirchanschöring hat wieder eine Literatin", murmle ich. Das war damals die Schlagzeile nach ihrer gefeierten Lesung. Vielleicht habe ich mich deshalb mit dem Roman so ins Zeug gelegt, um sie als Anschöringer Literatin abzulösen. Aber noch ist es nicht so weit. "Ich habe noch den ganzen Rechner voller Geschichten!" flüstert die Literatin und zwinkert mir kämpferisch zu.