Sonntag, 20. März 2016

Impressionen von der Leipziger Buchmesse

Über Ohrfeigen, Lit-It-Girls und Literaturrabauken


Endlich auf der Buchmesse und was bietet Leipzig? Tausende Teenies in Manga- und Superheldenkostümen statt Denis Scheck mit Hornbrille. Aber doch, wir waren richtig. Buchmesse Leipzig ist wortwörtlich eine Mischung aus Comic-Convention und Literaturfest.
Das Landei in Leipzig hat sich letztendlich nach nur zwei Stunden Lärm, riesiger Glaspaläste und Hunderten Avengers, Engel, Jedirittern und Spidermen rasch akklimatisiert und sitzt schließlich vor der 3-Sat Bühne

Im Auerhaus


Bov Bjerg, der netteste aller Bestsellerautoren liest aus dem Auerhaus. Das Buch war die Überraschung dieses Winters und hat bei vielen Lesern die Jugend in den späten Achtzigern noch einmal wach werden lassen. Bov Bjerg plaudert über autobiografische Elemente und dass sich die wohlstandsverwöhnten Kids von heute gar nicht mehr vorstellen können, mit 18 von zu Hause auszuziehen. Viele seiner jugendlichen Leser hielten dies für übertriebene Fiktion. Er plädiert dafür, dass man den Kindern wieder mehr zutrauen solle. 


Abbas Khider verteilt Ohrfeigen


Während wir auf Glavinic warten, liest Abbas Khider aus seiner "Ohrfeige". Obwohl es darum geht, dass eine unserer potentiellen Kolleginnen vom BAMF von einem Flüchtling geknebelt wird, damit der Iraker ihr endlich seine Geschichte erzählen kann, lachen wir herzlich. Etwas Unvorhergesehenes geschieht: Abbas Khider strahlt eine beinahe zu greifende charismatische Aura aus. Er hat die gut 150 Zuhörer sofort fest im Griff. Jede Geste untermauert seine Worte, Worte einer fremden Sprache nach denen er oft ringen muss. Nach dem einen und anderen Seitenhieb auf die Bild-Zeitung, auf das Land Bayern und die dortige Polizei und wieder und wieder gibt es viel Szenenapplaus. Schließlich erzählt er seine Fluchtgeschichte, seine Behördenodyssee und es wird ganz still. Gänsehautstimmung in Sachsen. Wären doch 24 Prozent des Landes dort gewesen und hätten sich seine Geschichte angehört. 

Der Glavinic Komplex


Krasser Gegenschnitt. Österreichs spannendster Schriftsteller Thomas Glavinic betritt die Bühne. Wenn man so ziemlich alles von ihm gelesen hat, weiß man, dass er nett sein kann. Manchmal. Aber auch, dass man es mit einem meinungsstarken Charakterkopf zu tun hat. Warum man ihm den bemitleidenswerten Matthias Wöbking gegenüber gesetzt hat, bleibt ein ungelöstes Rätsel. Gleich als erstes stellt er die Frage, die Glavinic wohl seit einigen Jahren am meisten langweilt: Wie viel im Jonas Komplex ist autobiografisch. Zum gefühlt achtmillionsten Mal muss er erklären, dass eine Romanfigur, die zufällig Thomas Glavinic heißt, dennoch nicht er ist. Glavinics Laune sinkt und er mutiert mehr und mehr zu jenem Literaturrüpel, den er seit „Das bin ja ich“ mit Genuss kreiert hat. Sein Fragensteller wird kleiner und kleiner und Thomas Glavinic verwandelt sich endgültig in seine Romanfigur, leider nicht den Jonas, inklusive verschnupfter Nase. Fast wäre es unterhaltsam gewesen, täte einem der arme Matthias Wöbking nicht so leid, dem zuletzt sogar die Fragen ausgehen. Noch schnell ein Autogramm vom Großmeister. Er unterschreibt mit „Thomas Glavinic Thomas Glavinic“. Wunderbar, Doppelspiel bis zur Buchsignatur.

Wer hat Angst vorm Glavinic?


Schnell weiter zum Aufbau-Stand. Dort wartet tatsächlich Ronja von Rönne, einer der Stars der diesjährigen Buchmesse, auf ihre Fanboys. Da außer mir gerade keiner da ist, hat sie tatsächlich Zeit für einen Ratsch. Wir erzählen ihr vom Glavinic und sie lacht, dass erst kürzlich ein Foto von ihr mit ihm aufgetaucht sei, dabei habe sie ihn nie getroffen. Sie will unbedingt den Jonas Komplex lesen. „Aber vor ihm hab ich Angst“ sagt sie grinsend. „Zu recht“, wissen wir inzwischen. Übrigens hat ich den Begriff „Lit-Girl“ erfunden. Auch wenn sie „Lit-It-Girl“ lustiger fand…
Ihr Romandebüt „Wir kommen“ wird derzeit ebenso kontrovers diskutiert wie ihre Feuilleton-Artikel. Aber ich bleibe dabei, es ist ein wunderbares Buch. Sie wird später von Tobi Schlegl interviewed und erzählt recht offen vom turbulenten letzten Jahr, von Shitstorms und Morddrohungen. Von Panikattacken, die sie mit in den Roman eingebaut hat. Was sie nicht erzählt, sind die kleinen Anekdoten von ihrem alten Zuhause, vom Chiemgau und vom Traunsteiner Kaufland, die sie zuvor schmunzelnd erzählt hat und die hier nicht ausgebreitet werden. 

Der heimliche Star der Buchmesse: Ronja von Rönnes' Steuerberater


Als Tobi Schlegl das Publikum fragt, wer das Buch denn eigentlich gelesen hat, meldet sich nur ein älterer Herr. Und ich. Tobi Schlegl rennt unverständlicherweise zu dem weißhaarigen Typen und fragt ihn, wie er das Buch gefunden hat. Toll natürlich. Sprachlich wunderbar. Auf einmal fängt die Ronja während der immer toller werdenden Laudatio an zu lachen und sagt: „Das ist mein Steuerberater…!“
Ach ja, einen Buchvertrag hab ich wieder keinen bekommen. Dazu hätte ich mich nach Mitternacht auf den Partys blicken lassen und jede Menge Schnaps trinken müssen. Aber immerhin hab ich die Freundin von der Chefin vom Schöffling Verlag kennengelernt in deren Wohnzimmer „Mein Jahr ohne Udo Jürgens“ geschrieben wurde. Und den Jürgen Eglseer vom Amrun Verlag. Und ungefähr zehn Black Widow-Scarlett Johannsons…

Donnerstag, 10. März 2016

"Wir kommen" - Der Roman von Ronja von Rönne

"Wir kommen" heißt das Romandebüt von Ronja von Rönne. Es hätte auch "Vier kommen"
heißen können. Viererkonstellationen stehen im Mittelpunkt, ebenso das Nicht-kommen, das nicht Ankommen, das Suchen einer jungen Generation die alles hat, aber nichts, das bleibt. 
Karl Ove Knausgard hat einmal gesagt, dass Literatur Ausschau halten muss, Ausschau nach etwas anderem. Dies sei ihre einzige Aufgabe. 
Ronja von Rönne hält Ausschau. Die Gedanken ihrer Ich-Erzählerin, oft ironisch, der Nihilismus der beschriebenen Welt sind nicht neu, aber sie hebt etwas, das vielleicht mit Christian Krachts Faserland begonnen hat, in eine neue Dimension, in die nächste Generation. Ist das die Generation Y oder schon wieder etwas ganz Neues?
Doch Stop, nochmal alles auf Anfang. 
Worum geht es eigentlich?
Da ihr Therapeut in Urlaub geht, soll die junge Erzählerin ihre Gedanken in ein blau-gelbes Notizbuch, auf dem ein Streichholz abgebildet ist, aufschreiben. Zu notieren gibt es genug: Maja, die Jugendfreundin ist tot. Zumindest wird dies auf der Einladung zur Beerdigung behauptet. Und auch die Viererbeziehung mit ihrem Freund Jonas, ihrem Ex-Freund Karl und dessen Neuer Leonie ist weniger erotische Utopie denn zermürbende Realität. Denn selbst wenn es zu viert perfekt sei, wie die Erzählerin behauptet, wird die Konstellation durch Leonies stille Tochter Emma-Louise, also der Nummer  Fünf, gesprengt. Da jeder der Fünf seine eigenen unausgesprochenen Sprengsätze in sich trägt, beschließen sie, eine Weile in einem Ferienhaus am Meer zu leben, bis sich die Probleme von alleine lösen. Bis alles wieder gut ist. Bis Maja doch nicht tot ist. Bis aus aus Vierer- wieder Zweierbeziehungen werden. Bis klar ist, wer der Vater von Leonies Tochter ist. Und bis diese ganze erdrückende Welt eine andere ist.

Hat das alles was mit dem Chiemgau zu tun?


Kleinstadt Tristesse Kaufland
Ronja von Rönne lebt laut Klappentext in Berlin und Grassau. Sie nennt ihre Hauptfigur Nora und legt somit vielleicht bewusst, vielleicht unbewusst eine Fährte, dass es Ähnlichkeiten zwischen Ronja und Nora geben könnte. Es bleibt jedoch nur bei der Fährte, wobei das Spiel mit dem Ich und den daraus entstehenden Möglichkeiten gerade Thomas Glavinic im „Jonas Komplex“ mit Lust zelebriert. 
Fakt ist aber, dass in Noras Rückblenden an ihre Kindheit in einem konservativen Dorf Grassau und der Chiemgau Pate gestanden haben. "Sterben gehört  bei uns nämlich genau so zum Miteinander wie akkurat gestutzte Rasen..." Das klingt schon sehr nach Oberbayern. 
Ebenso wenn Nora in ihren Rückblicken vom Kaufland erzählt, von den Punks, die dort herumlungern und von den Hausfrauen, deren Wochenhöhepunkt der Einkauf und die Einkehr im Kaufland-Restaurant ist, sieht man sofort Traunstein vor sich. 
Es ist allerdings ein düsteres Bild, das sie von der scheinbaren Idylle auf dem Dorf zeichnet: Missbrauch, Alkoholismus, zerrüttete Familien. Nur ein Auerhaus fehlt. Es bleibt den Jugendlichen nur die Flucht nach Berlin.
In den Traunsteiner Buchhandlungen hat man übrigens beim Namen "von Rönne" mit den Schultern gezuckt. Zwar hatte zumindest die Buchhandlung Stifel einen ganzen Stapel angeschafft, aber von der Autorin hatte man noch nie etwas gehört. Das dürfte sich ändern...

Ist das jetzt gut oder was?


Der literarische Platzhirsch am Chiemsee ist bisher Norbert Niemann, weshalb sich ein Vergleich anböte. Er ist allerdings so ziemlich das Gegenteil einer Ronja von Rönne. Männlich, doppelt so alt, den Bachmannpreis hat er damals gewonnen. Stellt man „Wir kommen“ neben Niemanns „Willkommen neue Träume“, in dem ebenfalls eine Prise Chiemgau herauszulesen ist, wird der krasse Generationenwechsel deutlich. Denn, bei allem Respekt zum literarischen Schwergewicht von der anderen Chiemseeseite, schreiben kann sie. Die Sprache ist dicht, der Plot flott. Die Welt die sie beschreibt, eine neue, andere, nicht weniger traurige. Das Buch tut weh und alle paar Seiten sind wunderschöne Sätze zu entdecken, die man sich sofort auf T-Shirts drucken oder im Internet posten möchte. "Schau, das ist die Welt. Schau, das ist die Nacht. Schau, das ist das Warten. Schau, das ist die Leere. Schau, das ist..." möchte sie einem gelockten Zukunftsforscher sagen. Eine der Stellen im Buch, die auf unaufgeregte Weise berühren. 
Kurz erinnert das Buch an das kunstseidene Mädchen von Irmgard Keun aus den Zwanziger Jahren, das heute als wichtiges feministisches Buch gilt. Aber Feminismus und Ronja von Rönne - da war doch mal was...
Eine Leseempfehlung wird natürlich mit euphorischem Feuerwerk gegeben. Gespannt abzuwarten ist allerdings, welche Langzeitwirkung das Buch entfalten wird. Ob es, wie einst Wolfgang Herrndorfs „Tschick“, mit jedem Jahr wundervoller wird, oder ob es das Schicksal der legendären Popliteratur ereilt, die mit den Jahren eine goldene Patina anzunehmen begann.


Schreiben Sie weiter, Fräulein von Rönne. Und gibt’s mal eine Lesung in der Bücherei Grassau, werden wir kommen!

Montag, 7. März 2016

Papstbüste in Traunstein erneut beschmiert

Wer ist schuld? Wir präsentieren die üblichen Verdächtigen:

Ist das Kunst oder muss das wieder weg?
Rosa also diesmal. Die Büste von Papst Benedikt XVI vor der Traunsteiner St. Oswald Kirche wurde erneut mit Farbe beschmiert. Sofort werden Erinnerungen wach an den Sommer 2007, als Josef Ratzingers Kopf, damals mit roter Farbe, übergossen wurde. 
"Gott ist an allem schuld" stand damals auf dem Sockel geschrieben. 
Diesmal gibt es keinerlei Hinweise auf das mögliche Motiv. Bis auf die Farbe vielleicht. Die katholische Kirche, inklusive Herrn Ratzinger, Papst a. D., ist nicht gerade für Ihre Schwulenfreundlichkeit bekannt. Aber anhand der Farbe Rosa auf das Motiv zu schließen, wäre zu klischeebehaftet.
Eine Stadt fragt sich erneut: Wer könnte es gewesen sein?
Die Geschichte der beschmierten Papstbüste taucht bereits im 2013 erschienenen Roman "Kleinstadtrebellen" auf: Im Buch ist der Täter der frustrierte Clubbetreiber Freiberger. Er liegt mit den Kleinstadtbehörden im Clinch und seine Clubs "Retro" und "KFK" sind von der Schließung bedroht. Den Traunsteinern müsste drei Jahre später dieser Plot verdächtig bekannt vorkommen: Eine verblüffende Parallele zur derzeit tatsächlich köchelnden Kontroverse bezüglich derdrohenden Schließung von Kafka und Metro.

Vielleicht nur Schamesröte darüber, was
derzeit im Rathaus los ist...
Könnten analog zum Buch die Metro-Macher hinter dem Papst-Attentat stecken? Oder ist der Täter im Umfeld der Landesgartenschau- oder Güterhallengegner zu verorten? Immerhin ist die Papst-Büste vis á vis vom Rathaus. (Auch wenn der Papst selbst grimmig eher in Richtung Metzgerei blickt) Nicht ausgeschlossen, dass der Trittbrettfahrer ein waschechter Traunsteiner Kleinstadtrebell auf den Spuren der Lausbubengeschichten Ludwig Thomas' ist. Mit Sicherheit aber sollte man den Kleinstadt-Autor Bernhard S. in den Kreis der üblichen Verdächtigen aufnehmen, den größten Nutznießer der unfreiwilligen Werbeaktion,  dessen Buch durch die brandheiße Aktualität demnächst die Chiemgauer Bestsellerlisten hinauf schießen wird. Zu bestellen übrigens HIER

Freitag, 4. März 2016

Auf der Suche nach den anderen Autoren in der Stadt

Wie finde ich die Schriftsteller der Region?

Der Schriftsteller schreibt für sich allein, aber irgendwann möchte man sich dann doch mit anderen austauschen. 
Wie oft habe ich "Schriftsteller Traunstein" oder "Autoren Kirchanschöring" gegoogelt und nie zufriedenstellende Ergebnisse erhalten. Weder dieser Thomas Bernhard, noch diese Luise Rinser, damals ganz oben auf den Trefferlisten, ließen sich zwecks eines ungezwungenen Treffens kontaktieren. Klar, sie waren ja bereits tot. 
Es schien, als gäbe es im Chiemgau außer mir keine ambitionierten Autoren. Oder sie ließen sich einfach nicht finden.
Heute ist das anders. Ein junger Autor, der Anschluss an die Literaturszene in unserer schönen bayerischen Provinz sucht, muss nicht mehr nach München fahren, um dort das Glockenbachviertel zu durchsuchen. 
Inzwischen habe ich so viele Keywords quer durch das Internet gestreut, dass auch der ungeschickteste googelnde Schriftsteller aus dem Landkreis Traunstein früher oder später über die Chiemgau Autoren oder meine eigene Webseite stolpern muss. Überall im Internet streue ich Brotkrumen, damit junge Autoren aus Traunstein, Kirchanschöring und dem Chiemgau eine Anlaufstation finden, um sich mit anderen Schriftstellern zu vernetzen.
Das Netzwerk der Chiemgau Autoren beispielsweise trifft sich monatlich, bietet einen Austausch unter Schriftstellern und fördert junge Autoren. So ist auch die junge Literaturzeitung "Lizzy" entstanden, längst legendär, ein Who is Who der Chiemgauer Kulturszene. Die damals noch unbekannten Ralf Enzensberger oder Flo "Tonradoo" Falkenberg sind inzwischen fester Bestandteil der Chiemgauer Theater- und Musikszene. Matthias Tonon war vorher schon von Preisen überschüttet und bekam noch im selben Jahr den Traunsteiner Kulturpreis zugesprochen.
Sicher, der klassische Weg führt auch heute von Grassau über Hildesheim nach Berlin. Einem Nachwuchs-Autor, der es zu etwas bringen will, bleibt auch heute nichts anderes übrig, als Verlagsmenschen die Hände zu schütteln, Lektoren um den Hals zu fallen, oder auf die Buchmesse zu fahren. Aber zuvor ist es inzwischen auch in Traunstein möglich, seine literarischen Hörner abzustoßen, seinen Text vor erfahrenen Autoren zu lesen, sich kritisieren zu lassen und Tipps zu bekommen, was die nächsten Schritte Richtung Autorenkarriere sind.

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