Mittwoch, 30. Dezember 2015

Das war 2015 auf Lesenszeichen und den Chiemgauseiten

Der große Jahresrückblick 2015

2015. Was für ein Jahr. Es begann für mich mit unserem kleinen (Fast) Christkindl, der die ersten Wochen des Jahres brüllend prägte. Wie viel hätte es im Elterntagebuch zu erzählen gegeben, wenn mich der Kleine doch hätte schreiben lassen.
Trotz Zusatzbelastung als Neu-Papa wurde ich im Februar gezwungen, ein Teilzeit-Immobilienmakler zu sein. Was einen faszinierenden Nebeneffekt hatte: Während der Zeit, als ich meine Wohnung im überhitzten Traunsteiner Immobilienmarkt ausgeschrieben hatte, bekam ich auf den Chiemgauseiten unerhörte Klickzahlen. Und um ein Haar wäre ich durch den Wohnungsverkauf als Autor reich und berühmt geworden : )

Der Wirtshausliterat

Mit Bumillo beim Lesefest in Bergen
Ebenfalls im Februar hatte ich als damals noch einheimischer Surberger meinen ersten großen Auftritt als Wirtshausliterat im Wirtshaus Lauter. Am ruasigen Freitag wurde beim "Vorglesn und Aufgspeit" viel vorgelesen und wenig gebrochen. Wobei ich auf der lustigen Faschingsveranstaltung die Surberger Prominenz nicht wenig mit meiner bewegenden Waginger-See Tragödie von der Maria Bruckmüller schockierte. 
Meinen zweiten großen Auftritt 2015 hatte ich in der Grundschule Bergen. Neben niemand Geringerem als der Poetry-Slam Legende Bumillo durfte ich vor Schülern lesen. Da ich merkte, dass das Elterntagebuch vor Grundschüler im literarischen Sinne nicht funktioniert, wurde schnell eine poetryslammige Wirtshaus-Version meiner ersten drei Wochen als Vater improvisiert.

Die Chiemgau Autoren e.V.

Chiemgau Autor und Wiener Rockstar (v.r.)
Im März fanden sich im Chiemgau-Gymnasium eine handvoll Chiemgauer Schriftsteller zusammen, die sich als Verein organisieren wollten. Es entstanden die Chiemgau Autoren e.V. mit mir als Beisitzer. Als losen Stammtisch unter der Leitung von Michi Inneberger gab es uns schon seit vielen, vielen Jahren. Mit der Gründung kamen neue interessante Autoren wie Meike K. Fehrmann dazu.
Neben der hochgeistigen Vereinsmeierei war ich einige Monate lang wieder ein fanatischer Fan einer Wiener Band. Wanda begleitete ich auf einige Konzerte und zu guter Letzt durfte ich beim Heimspiel in Kirchanschöring beim "Im Grünen Festival" Marco Michael Wanda die Hand schütteln.

Die Chiemgauer Kulturtage 2015

Lizzy die Literaturzeitung
Mein größtes Projekt hatte ich auch dieses Jahr wieder im Rahmen der Kulturtage.
Zusammen mit der FOS/BOS organisierte ich bereits seit Monaten eine Literaturzeitung und eine Lesung im Studio 16. Mit tatkräftiger Unterstützung meiner neuen Vereinskolleg/innen der Chiemgau Autoren konnte ich mir einen lang gehegten Traum erfüllen: Eine kleine Literaturzeitung, in der nicht nur einige bekannte Chiemgauer Autoren Texte veröffentlichten, sondern auch die jungen, wilden, talentierten Autoren des Chiemgaus. So sind in der Lizzy neben meiner Wenigkeit auch Matthias Tonon und Ralf Enzensberger zu lesen.
Beim "Text und Ton" - Abend standen schließlich im vollbesetzten Studio 16 6 Autoren und drei Bands auf der Bühne.
Durch die Suche nach jungen Chiemgauer Autoren stieß ich auch auf die inzwischen in Berlin lebende Ronja von Rönne. Ihr Buch wird im März 2016 erscheinen und dann kehrt sie hoffentlich auch auf eine Lesung in den Chiemgau zurück.

Sterne sieht man nur bei Nacht

Nach all den Eltern- Vereins- und Organisationsstress wurde es in der zweiten Jahreshälfte etwas ruhiger und ich konnte mich endlich auf die Fertigstellung meines neuen Romans konzentrieren. Der Romantitel wurde endgültig umgeworfen und ich entschloss mich, ihn "Sterne sieht man nur bei Nacht" zu nennen. Nachdem die letzten Kapitel fertig überarbeitet wurden, übergab ich das Manuskript meiner Lektorin Rebel, die seither das vier Zentimeter dicke Ding für mich noch einmal durchackert. 
Und unter diesem Stern / diesen Sternen wird auch das Jahr 2016 stehen. Ich hoffe, dass ich Euch bis Frühjahr das Buch präsentieren kann!

Ein gutes neues Jahr 2016 wünscht Euch

Bernhard Straßer

Montag, 28. Dezember 2015

Harrison Ford, mein Papa und das Erwachen der Macht

Wir wussten nichts von Star Wars. Als Kinder der bayerischen AchtzigerJahre ohne Kabelfernsehen hatten wir zwar von einem Skywalker und einem Krieg der Sterne gehört. Aber da mein Papa meinte, fünf Fernsehsender seien völlig genug und auch in der Grundschule kein einziger Krieg der Sterne gesehen hatte, gab es nicht mehr als nebulöse Legenden, dass Star Wars noch "kuhler" als Raumschiff Enterprise sei.
Anfang der Neunziger begann auch in unserem Dorf die Moderne und wir bekamen einen Videorecorder. Innerhalb weniger Monate überspielte mir mein Cousin aus der Stadt sämtliche Indiana Jones Teile und... Star Wars. Es war Weihnachten, als ich die Episode 4 ein erstes Mal anschaute. Und da war er. Der Typ mit der schwarzen Maske, der so komisch schnaufte, der Todesstern, der brüllende Yeti! Und das Leben war plötzlich auf wundersame Art und Weise magisch. 
Noch magischer war, dass auch dieser Indiana Jones in Star Wars mitspielte. Und am aller fantastischten war, dass dieser Harrison Ford meinem Papa erst ein wenig, in den folgenden Filmen mit zunehmend grauem Haar meinem Vater immer mehr ähnlich schaute. Vielleicht war es ein Skywalkeresquer Vaterkomplex der schuld war, dass ich ein fanatischer Harrison Ford Fan wurde. So fanatisch, dass ich sogar "Mosquito Coast" super fand und mir American Graffiti zigfach anschaute. 
Selbst meinen Vater überzeugte ich, dass Harrison Ford der beste Schauspieler der Welt und auch noch ein guter Mensch sei. Und auch wenn Papa weder mit Han Solo, noch mit Indiana Jones etwas anfangen konnte, sah er sich zumindest die ernsteren Filme wie "Regarding Henry" oder "Der einzige Zeuge" ganz gerne an. 
Mein Papa und Harrison Ford sind gemeinsam alt geworden. Mein Papa ist vor vier Jahren gestorben. 
Gestern sitze ich im Kino beim "Erwachen der Macht". Sofort muss ich an meinen Papa denken, als plötzlich Harrison Ford, inzwischen 72 Jahre und in Würde gealtert, auf der Leinwand auftaucht.
Ich bin sofort wieder der Teenager, der den Millenium Falken fliegen will und es ein bisschen cool findet, dass sein Papa vielleicht einmal wie Han Solo gewesen ist, als er noch jung war.
Und unweigerlich kommt dieser Moment, an dem mir die Rührung in die Augen schießt beim Gedanken daran, wie schön es doch ist, dass wenigstens Harrison Ford noch lebt...

(Wer den Film noch sehen will, sollte nun nicht mehr weiterlesen)

Natürlich ist jemand, der inzwischen 6 Star Wars Filme auf Deutsch und Englisch im Kino gesehen hat, nicht überrascht, dass dieser neue böse Maskentyp, Kylo Ren, von irgendwem der Helden Vater oder Sohn oder wenigstens Cousin zweiten Grades ist. Diesmal also der Sohn von Han Solo. Da auch ich mich ja gewissermaßen wie Harrison Fords Sohn fühle, könnte er quasi mein Bruder sein, fantasiere ich noch. Und was macht das Bruderherz, kurz nachdem ich mich so gefreut habe, dass ich meinen Stellvertretervater wenigstens noch mindestens zwei Teile lang im Kino sehen darf? Haut ihm ein Lichtschwert in den Bauch! Was für ein Arschloch!
Und ein erstes Mal sitze ich mit weit aufgerissenem Mund und feucht werdenden Augen im Kino und starre fassungslos auf die Leinwand. Vielleicht ist es ja nur eine Fleischwunde, denke ich. Ein Han Solo hält das aus. Dann wird Han Solo in die Tiefe geschmissen. Verdammt. Aber das kann man ja auch überleben, oder? Verdammte Scheisse. 
Erst nach und nach kann ich mich beruhigen. Bin auch nicht versöhnt, als die dunkle Seite schließlich ihren dritten Todesstern verschlissen hat. Was das den Sith nur wieder gekostet hat. Schad ums Ged. 
Ich bin immer noch fassungslos über Han Solos Tod und sage mir immer wieder, dass Harrison Ford ja noch lebt. Es ist nur ein Film. Es stand halt einfach im Drehbuch. Er kann immer noch als Geist in Star Wars 8 auftreten. 
Oder in Indiana Jones 5. 
Oder wenigstens in Air Force One 2!

Mehr vom Harrison Ford-Fan gibt es hier zu lesen: www.bernhardstrasser.de

Samstag, 14. November 2015

Traunstein hat ein neues Theater!

Premiere des neuen Highlights in der jungen Chiemgauer Kulturszene


Unbestritten ein Highlight: Die Hamlet-Darstellung von
Max Berger, Svetlana Teterja-Pater, Patrick Brenner
Traunstein ist eine uralte Kulturstadt, der Großteil dieser Kultur hat allerdings, darauf ist die Stadt so stolz, dass sie auf Kreisverkehren darauf hinweist, mit Bier zu tun. Natürlich hat die Bierstadt Traunstein auch eine Kulturszene. Die allerdings – zumindest im Altersschnitt – mittlerweile etwas in die Jahre gekommen ist. Die Nachricht von der Gründung eines jungen, ambitionierten Theaters im alten Vereinshaus in der Unterstadt, schlug in eben dieser Szene sowie der Politik ein wie eine Bombe. Es ist eine bescheidene Untertreibung wenn man andeutet, dass der Theaterenthusiast und Schauspieler Maximilian Berger auf etwas Gegenwind gestoßen ist bis zur tatsächlichen Premiere des neuen Chiemgau Theaters am Freitag, den 13.11.2015, ein Datum, das man sich merken wird.
Wer diese Vorgeschichten kennt, wundert sich auch nicht, dass dem Schauspieler, als er kurz nach 19:00 Uhr unter nicht aufzuhören wollenden Applaus kurz aus seiner professionellen Rolle fiel und emotional wurde als er, trotz aller Widrigkeiten und unfassbarem Organisationsstress das Chiemgau Theater für eröffnet erklärte. Wie bedeutend dieser Abend auch in der Stadtgeschichte sein könnte, erahnten wohl vor allem die älteren Theatergäste, die sich noch erinnerten, welch rauschende Feste in diesem Saal einst gefeiert wurden und wie geschichtsträchtig es ist, dass der Theaterverein diesem historischen Gebäude wieder Traunsteiner Kulturleben einhauchte.
Und was für ein Leben: Shakespeares sämtliche Werke – leicht gekürzt – stand auf dem Programm und viele waren gespannt, wie dieser nicht unbescheidene Titel wohl umgesetzt wird. Denn, einerseits hatte sich der Verein auf die Fahne geschrieben, Theater auf hohem Niveau zu spielen. Gleichzeitig möchte das Publikum aber auch unterhalten und nicht mit Avantgarder Nackt und Kotz-Kunst verschreckt werden. Und zum Dritten waren viele zunächst neugierig, wer dieser Kulturrebell Max Berger und seine Schauspieltruppe eigentlich ist. Vor diesem Hintergrund wurde die Aufgabe fast kongenial gelöst:
Man inszenierte Auszüge der Schlüsselszenen aus Romeo und Julia oder Hamlet, teils intensiv und eindringlich gespielt und gleichzeitig ein Spiel mit doppeltem Boden: Max Berger, Svetlana Teterja-Pater und Patrick Brenner spielten nicht nur sämtliche Rollen in den Shakespeare Klassikern, sondern auch sich selbst. Augenzwinkernd, teils zotig, nicht selten das Publikum einbeziehend, stellten sie drei Schauspieler dar, die sich teils intellektuell, teils naiv, immer humorvoll, mit Shakespeare auseinandersetzen und gegenseitig zusetzen.
Das altehrwürdige Vereinshaus
Dass es beim altehrwürdigen Shakespeare teils arg lustig zuging, irritierte den einen oder anderen bajuwarerischen Besucher. Ein Thomas Bernhard hätte sich ins Fäustchen gelacht, wie gut Theater bis heute funktioniert.
Spätestens nach der Schlussszene, als die Drei den „Hamlet“ in erst ausgewählten Szenen spielten, gefolgt von einer ersten Kurzfassung und einer zweiten, keine Minute dauernd, die das Stück augenzwinkernd auf den Punkt brachte, wurden die Schauspieler euphorisch mit Zwischenapplaus gefeiert. Und als wüssten die Dramaturgieprofis, dass man einem Höhepunkt idealerweise noch einen weiteren draufsetzt, spielten sie die Hamlet – Kurzfassung schließlich zur Begeisterung des Publikums rückwärts. Ein fast atemberaubender Schlusspunkt, der erahnen ließ, was Max Berger & Co. trotz weniger Proben und viel Bürokratie, zu inszenieren und darzustellen imstande sind. Nein, nicht alles lief rund, aber die Begeisterung beim Schlussapplaus war auch nicht die eines Champagnerpublikums, dass ich auf den Premierensekt freut, sondern kam von Herzen.

Dass den Theaterrebellen so viel Steine in den Weg gelegt wurden, sollte als Ritterschlag zu sehen sein. Man erinnert sich an die scharfen Worte mit denen Thomas Bernhard und selbst Ludwig Thoma das spiesbürgerliche damalige Traunstein bedacht hat. Die Stadt hatte lange gebraucht, bis eine Generation kam, die die Bedeutung Thomas Bernhards verstand. Jetzt ist die nächste Generation dran, frischen Wind in die Kulturszene der Bierstadt zu bringen. Zu wünschen ist trotzdem, dass es so kommt, wie es sich Max Berger gewünscht hat: Dass die Traunsteiner Theaterszene sich nichts gegenseitig wegnimmt, sondern gemeinsam die Region bereichert.

Link  zum Chiemgau Theater: http://www.chiemgautheater.de/

Samstag, 7. November 2015

Aus dem Leben eines Taugenichts

Wie ein Stück romantischer Literatur entstand

Ein junger Beamter spürt, dass der Ernst des Lebens begonnen hat. Er muss sich entscheiden, ob er das aufregende Leben eines Studentenstrizzel und eines Schriftstellers romantischer Literatur endgültig zugunsten der lebensnotwendigen Pflichten, aufgibt. Er muss für sich und seine Frau Geld verdienen, seine Beamtenlaufbahn vorantreiben, da er vom Schreiben allein nicht leben kann.
Wehmütig denkt er zurück an seine Studentenjahre, die er mit den Romantikern in Heidelberg verbracht hat. Er ist viel gereist in dieser Zeit, hat leidenschaftliche Gedichte und Erzählungen geschrieben, nun wächst der Druck des Erwachsenenlebens. 
Während er seine Pflichten als Beamter gewissenhaft ausfüllt, nutzt er jede freie Minute, um eine Art Road-Movie des frühen 19. Jahrhunderts über einen Taugenichts zu schreiben, der naiv in die Welt hinaus wandert, um allen Pflichten zu entfliehen, um sich zu verlieben, um frei zu sein, um das Leben, das einzig wahrhaftige Leben, bis ins Mark auszusaugen. Während er den leidenschaftlichen Roman schreibt, stirbt ein Elternteil, der finanzielle Druck wächst und je freier sein Taugenichts im Roman ist, desto mehr vereinnahmen ihn die Pflichten im richtigen Leben. Er ist kurz davor, das zu werden, wogegen er anschreibt: Ein Philister.
Wer sich mit Joseph von Eichendorff und seinem „Aus dem Leben eines Taugenichts“ beschäftigt hat, der wird diese Geschichte, diese Tragik des einstigen Heidelberger Romantikers, der sein Brot als Beamter verdienen musste, kennen. Und wer mich kennt, der wird grinsen und merken, dass ich gar nicht über Eichendorff, sondern über mich geschrieben habe.
Ohne Eichendorffs Biographie zu kennen, habe ich mich kurz nach meinem Studium kurz mit dem Taugenichts auseinandergesetzt und meine eigene Version des Romans unter dem Titel „Reise ans Ende der Romantik“ aufgeschrieben.
Interessant dabei ist es, dass es scheinbar für jede Lebensphase den richtigen Autor gibt. War es damals Eichendorff, wurde es später Wolfgang Herrndorf. Seltsam genug vor allem deshalb, weil er nicht nur genau in dem literarischen Stil schrieb, der mich inspirierte, sondern sich auch intensiv mit seinem Gehirntumor, einem Glioblastom auseinandersetzte. Seltsam deshalb, weil ein Jahr nach seinem Tod auch bei einem noch viel zu jungen Mitglied meiner Familie ebenfalls ein Glioblastom im Kopf entdeckt wurde. Bezeichnend auch, dass mein zweites prägende Buch kurz vor dieser Diagnose John Greens „Das Schicksal ist ein mieser Verräter war“. Von der Romantik zur Krebs-Literatur. Ja, ich sehne mich zurück zu den alten, unbeschwerten Eichendorff-Zeiten in Heidelberg.

Montag, 2. November 2015

Was der Tod mit dem Leben so anstellt

Erst verschwinden die Toten, dann verschwinden die Lebenden, die vom Tod nichts wissen wollen


Ein unschöner Nebeneffekt des Tod ist im Leben noch junger Menschen, zu denen ich mich
Alle Jahre wieder: Allerheiligen
zähle, dass nicht nur die Menschen die gestorben sind verschwinden, sondern nach und nach auch die Freunde, die keine Erfahrung mit dem Thema Tod und Sterben haben, da sie nur schwer damit umgehen können. 
Bis zu meinem dreißigsten Geburtstag sind in kurzer Folge nach meiner Großmutter mehrere Onkel und Tanten und meine Mutter gestorben. Innerhalb von fünf Jahren folgten noch ein weiterer Onkel und mein Vater. 
Was das aus einem Berufsjugendlichen macht, der so euphorisch das Leben in vollen Zügen  genoss, dass er oft Angst hatte, in seinem eigenen Enthusiasmus zu ertrinken, was das permanente Sargtragen und Grabreden halten müssen aus ihm machte, kann man mit einem Wort umschreiben: erwachsen. 
Wenn die Eltern und viele der früheren Bezugspersonen verschwunden sind, wird es nicht nur einsamer, sondern man realisiert ein erstes Mal, dass man auf sich allein gestellt ist. Dass alle Handlungen Konsequenzen haben und dass niemand mehr da ist, der einem Schutz oder ein buchstäbliches Dach über dem Kopf bereitstellt, wenn etwas im Leben schiefgehen sollte. Das Leben wird zur Pflicht, das schwerelos verträumte in den Tag hinein leben war ebenso gestorben wie die Eltern.
Alles kein Problem, man hat ja noch Freunde, sagt man sich. Aber die Erfahrung in Krisenzeiten ist auch jene, dass die normalen Gleichaltrigen die, so Gott will, noch kaum Erfahrung mit dem Tod machen mussten, gegenüber Trauernden und am Leben hadernden zwar bemühtes Verständnis entgegenzubringen versuchen. Mit dieser übertriebenen, lebensverändernden Auseinandersetzung mit Tod, Krankheit und Sterben, wie sie mir und meiner Familie widerfahren ist, können allerdings nur wenige umgehen. Was soll man auch jemanden entgegnen, wenn er auf die Frage, wie geht es Dir, antwortet: "Meine Eltern sind tot, meine Frau hat ein Kind verloren und mein Schwager hat einen Hirntumor. Danke der Nachfrage"?
Man erwischt sich, dass man sich am Wochenende auf einer Feier nur noch mit Menschen unterhält, die ebenfalls Angehörige, im Idealfall beide Elternteile, verloren haben und man sich so ausgelassen darüber freut, so jemanden kennengelernt zu haben, dass man selbst merkt, wie krank und absurd das eigene Leben geworden ist. 
An Allerheiligen sind wir wieder an den Gräbern gestanden und ich habe mich nach der Zeit gesehnt, als ich am Grab der Großväter stand, die ich nie kennengelernt hatte. Heute sind es zu viele Gräber an die man sich stellen müsste und man muss auch noch dankbar sein, dass zumindest der Rest der Familie noch mit dabei steht bzw. im Rollstuhl sitzt. 

Man weiß, so ist das Leben und jeder hat sein Päckchen Elend zu tragen. Aber man weiß auch, dass es nicht viele der Freunde von früher gibt, die auch nur im Ansatz nachempfinden können oder versuchen, was der Tod mit den Lebenden macht. Und das fühlt sich fast noch trauriger an als die Einsamkeit, die die Verstorbenen hinterlassen haben. 

Freitag, 30. Oktober 2015

Dicke Bücher können fett machen!

Nachdem ich gestern verzweifelt den „Kampf um die Literatur“ ausgerufen habe, hat sich
Mal mehr, mal weniger nährreiche fette Bücher
heute dankenswerter Weise das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung unter Federführung von Lothar Müller des Themas angenommen. Eine Titelstory zum Thema Bücher. Sollte meine These vom Sterben der Literatur gottlob hochoffiziell widerlegt werden?
Vor Jahren traf ich eine damals blutjunge Nachwuchs-Schriftstellerin im Teenageralter. Ich fragte sie, was für eine Art von Buch sie denn geschrieben hätte. Sie sah mich stolz und selbstbewusst an und sagte: „Ein dickes.“
Und in eben dieses Horn bläst nun Lothar Müller, dessen Alter ich nach Schreiben dieses Textes gleich googeln werde. Er beschreibt den jüngsten Trend, dass die Leser sich auf möglichst dicke Wälzer stürzen. Als Referenz dazu führt er die immerhin schon über 15 Jahre alte Harry Potter- Reihe an. Natürlich wird die folgerichtige Frage gestellt, ob die Dicke eines Buches als Qualitätsmerkmal gelten kann. Eine klare Aussage traut sich der Artikel nicht zu. Dazu lasse ich mich selbst gerne herab: Schaut man sich die dicken Wälzer in den Auslagen der Buchhandlungen an, die fetten Thriller, die epischen Fantasyreihen, die dicken Erotikschmöker, fällt das Urteil ganz leicht: Dicke Bücher sind ein Abbild des momentanen Zustandes in der Literatur: Es gibt einige Ausnahmen, aber die meisten sind einfach zu lesen, fesselnd, zerstreuend und so trivial geschrieben, dass sie auch das kleinste Spatzenhirn in Windeseile mit Vergnügen durchlesen kann. Ein Buch wird leider nicht deshalb besser, weil es dick ist. Man kann halt aus einer Mettwurst kein Marzipan machen, wie es so schön heißt.
Und fette Bücher sind nicht immer gesund. Analog meines Plädoyers zu Slowfood-Literatur möchte ich auch hier dazu aufrufen, sich gut über Inhaltsstoffe und Nährwert fetter Bücher zu informieren.
Nachdem ich Herrn Dr. Müller nun gegoogelt habe, gleich mein Entschuldigungsschreiben: Da es sich offensichtlich um einen sehr gescheiten Herrn handelt, kann ich mir nur bildlich vorstellen, wie er mit den Augen gerollt hat, als der Chefredakteur ihm den Auftrag gab, er solle sich der Sache mit den „dicken Büchern“ annehmen… Mehr Esprit bitte beim nächsten Mal.

Mehr zum Thema Bücher:




Der Kampf um die Literatur

Kunst ist immer relativ, aber gute Literatur schwindet aus den Buchregalen
Der Kampf um das gute Buch wird der größte unserer Generation werden. Die kleinen Buchläden sterben aus, die verbleibenden ähneln sich in ihrem Buchsortiment wie ein Klon dem anderen. Es müsste längst einen Aufschrei der Bibliophilen geben. Aber stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin. So verhält es sich beim Thema Buch, Literatur und Lesen in den Feuilletons unserer Zeit. Zwei Phänomene existieren nebeneinander, die sich gegenseitig zur Nichtigkeit auflösen: Einerseits liest die Jugend so viel wie noch nie. Andererseits verschwindet die Literatur im klassischen Sinne aus den Buchläden. Wie ist dieses Paradox zu erklären? Ganz einfach und plakativ ausgedrückt: Es wird nicht nur so viel gelesen, wie noch nie, es wird auch so viel Müll gelesen wie noch nie. Eine neue Generation in Handys blickender junger Menschen bevölkert unseren Planeten. Die meisten von ihnen, das sollte eigentlich Mut machen, lesen auf dem Handy Texte. Die Kehrseite daran: Jedem ist klar, dass die Handygucker nicht unbedingt Kafka oder Hölderlin lesen, sondern sich über den Whatsapp- und Facebook-Gossip auf dem Laufenden halten. Viele Nachrichten enthalten dann nicht einmal mehr Buchstaben, sondern es scheint möglich, ganze Kommunikationsstränge nur mit Emoticons am Laufen zu halten.
Aber zurück zum Lesen und zu den Büchern. Die Generation Handy liest auch Bücher. Der Leser ist weiterhin ein Marktfaktor, mit dem Geld umzusetzen ist. Aber - und das haben die Verlage natürlich erkannt - verkauft sich in erster Linie, was spannend ist, was träumen lässt, was leicht zu konsumieren ist. Mit schwer verdaulicher belletristischer Literatur ist nun mal kein Umsatz zu machen, das hat schon ein Jo Lendle erkannt. 
Aber was bedeutet es, wenn die "richtige" Literatur aus den Buchläden verschwindet, wenn das Gros der Leser sich nicht anstrengen möchte und ein Buch, das beim Lesen weh tut, wenn überhaupt, dann als Pflichtlektüre in der Schule angeblättert wird? Wächst hier nicht nur eine Generation Handyglotzer, sondern auch eine Generation "ich will nicht nachdenken müssen" heran? War es womöglich schon immer so, dass junge Leser einen Schmöker, an dem der Leser eben nicht wie ein Kleinkind an der Hand des Autors durch den Roman geführt wird, als unlesbar in die Ecke pfeffern? Konnte man früher den 08/15 Leser schon provozieren, indem die Kapitel so lang sind, dass es nicht möglich ist, noch schnell ein Kapitel fertig zu lesen und dann das Licht aus zu machen?
Und was sagt es über unser Feuilleton aus, wenn (die von mir selbst hoch geschätzten) Wolfgang Herrndorf, Thomas Glavinic und Karl Ove Knausgard, allesamt relativ leicht zu lesen, als Hochliteratur gelten? 

Die Fragen könnten beantwortet werden, wenn der Kampf der Leser um das gute Buch beginnt. Aber da es dem Leser Wurst ist, solange das Buch nicht anstrengend ist und weil man Bücher, die weh tun, leicht beiseite legen kann, wird es diesen Kampf nicht geben. 

Mehr zum Thema Literatur und Bücher:



Montag, 19. Oktober 2015

Wo sind die Blogger im Chiemgau?

Gibt es in Traunstein und Umgebung  noch andere gute Blogs?

Kitschig schöner Chiemgau = Bloggerwüste?
Liebe Chiemgau Blogger, wo seid Ihr? Diese Frage habe ich mir nach gut eineinhalb Jahren Bloggen und über zehntausend Klicks ein erstes Mal gestellt. Es kann doch nicht sein, dass ich der einzige Mensch in der landschaftlich so schönen Twitterwüste Chiemgauer Voralpenland bin!
Nach einiger Recherche muss ich ernüchtert feststellen: Zieht man die Bergsteiger- und Tourismusblogs und die drei Blogs (Drucktuns, Elterntagebuch, Autorenwort), an denen ich offensichtlich ebenfalls mitwirke ab, bleibt nicht viel übrig. Die Chiemgau-Blogger sind anscheinend alle nach München, Wien oder Berlin umgezogen. Ich halte tapfer die Stellung.
Klickt trotzdem mal rein bei:

Blog über die sehr innovative Regionalwährung "Chiemgauer" und über aktuelle politische Themen

"Regionales, Kritisches, Geschichtliches, Persönliches, Nachdenkliches, Skeptisches, Satirisches, Kurioses und Aktuelles über den Chiemgau, die Landkreise Rosenheim, Traunstein, dem  Berchtesgadener Land bis nach Salzburg."

Hier bloggt das Chiemgauer Unternehmen "Bayern hoch Sechs" über Aktuelles aus Wirtschaft und Kultur

Wars das schon?
Wenn Ihr einen interessanten Blog wisst, oder sogar betreibt, macht's mal Werbung und postet unten den Link!

Endlich gefunden: Die Chiemgaublogger!

Zwei Jahre später haben sie sich endlich gemeldet, die Blogger aus dem Chiemgau: Stefanie Dehler hat eine kleine aber feine Runde von Bloggern aus dem Chiemgau zusammengestellt: 
Die komplette Übersicht der Chiemgauer Blogger findet Ihr hier: http://zeitfueroptimisten.de/blogs-bloggerinnen-blogger-im-chiemgau/

Samstag, 17. Oktober 2015

Ich will gar nicht auf diese blöde Buchmesse!

Alois ist erleuchtet - Teil 4 der Literaturprovinzsatire

Die anderen sind alle auf dieser beschissenen Buchmesse. Die Ronja, die Cornelia. Der Norbert wahrscheinlich auch. Wär mir eigentlich egal. Wenn die nicht alle ständig twittern würden, wie geil es dort ist und wem sie schon alles die Hand geschüttelt haben. Alle bis auf den Norbert natürlich. Der ist ja alt und gescheit genug, der macht das nicht. Das twittern, meine ich. Nicht das Hände schütteln. Und die anderen prahlen dann auch noch herum, dass es im Literaturzirkus einen Dreck interessiert, wie gut man schreibt. Man muss nur die richtigen Leute kennen. Man muss nur dabei sein, bei der Buchmesse. Und man muss genau wissen, wen man vollschleimt und welcher Arsch kriechenswert ist. Und das Schlimme ist nicht, dass das so ist. Sondern, dass ich das weiß und so, so gern bei Euch mitmachen würde!
Ich mache das nämlich auch. Aber halt nicht in der Bücher-Bundesliga, sondern so eher provinziell im oberbayerischen. Anstatt Jo Lendle vollzuquatschen, dass er ein Visionär ist und, dass der Norbert und der Glavinic sich doch verpissen sollen aus seinem schönen Verlag, auch wenn da natürlich meine eigene Meinung dazu habe, sieht meine Realität ungefähr so aus: Ich sitze im Sitzungssaal des Landratsamtes und schleime mich bei den hiesigen Kultur-Verwaltern ein, wie toll ich es finde, dass junge Literaturtalente endlich beim Kulturpreis der Stadt berücksichtigt wurden, will aber eigentlich sagen, dass es eine Frechheit ist, dass ich den bescheuerten Preis nicht bekommen habe, sondern der Matthias. Wer ist denn nun der größte Jung-Literat im Chiemgau? Jaja, der Norbert selbst hat mir einmal gesagt, es wird Zeit, dass die jungen Wilden den verstaubten Kulturschaffenden in Traunstein mal in den Arsch treten. Sinngemäß jedenfalls. Aber genau die sind es halt, die die Preise verleihen und die einem so väterlich den Kopf tätscheln, wenn sie es gut finden, was man so macht. Von den Geldern mal ganz zu schweigen. Und deshalb finde ich auf einmal den Kunstverein Arts und die städtische Galerie dann doch supergut und bin voll begeistert von den wunderbaren Projekten dort und am aller, allerliebsten mag ich die Aquarellkunstwerke vom hiesigen Kunstverein. 
Ich registriert das natürlich, was die in Frankfurt für Tipps in die Provinz senden und hab dann einfach so getan, als sei ich auf der Buchmesse und jede Menge Hände geschüttelt, auch wenn mir natürlich klar ist, dass das unterm Strich eher nichts bringt für die Autorenkarriere. Und die Ronja hätte das wohl sicher auch wieder super gefunden, dass ich so selbstreflektiert erkenne, wie sehr man im Chiemgau in der Kacke hocken kann. Die hat wenigstens halb Deutschland und seit neuestem halb Österreich als Feind. Ich trau mich nicht einmal, mich mit den Aquarellmalern anzulegen. Und sowas nennt sich Kleinstadtrebell...Und das mit dem Kulturpreis kann ich wohl auch vergessen, wenn irgendwann einer der Traunsteiner Kulturtypen merkt, was Twitter ist...

Hier geht's zurück zum Teil 3: Die List der Wanderhure

Montag, 12. Oktober 2015

Die wunderbare Welt von Wanda


Der Wanda-Zirkus zieht weiter von Stadt zu Stadt
Seit fast einem Jahr zieht der Wanda-Zirkus durch Österreich und Deutschland und ist der derzeit unbestritten heißeste Scheiß, den der sonst so vorhersehbare Musikbusiness zu bieten hat. Mit dem zweiten Album „Bussi“ sind sie einerseits dabei, sich als Mega-Hype zu etablieren. Für die etablierten Fans andererseits ist „Bussi“ schon wieder so eine Art Hoam-coming in die Wanda-Welt. Es ist alles vertreten, was Amore zu einem life-changing Kunstwerk gemacht hat: Die falconesque Attitüde einer abgefuckten (Wiener) Welt, Bologna, Schnaps und Weinflaschen – alles mit drin, wofür man Wanda liebt. Nur der Thomas heißt jetzt irgendwie Andi und wir wissen immer noch nicht, mit wem Tante Ceccarelli in Bologna Amore gemacht hat. 
Dafür hört sich schon der titelgebende Song „Bussi Baby“ so an, als packte eine talentierte Wanda-Parodie-Band alle Klischees des ersten Albums in einen Song. Will heißen (in genau der Reihenfolge): High sein, Schnaps, Mama, Rom oder Berlin, Sterben in Wien und was Weißes. Und der Rest ist ein nicht mehr enden wollendes Bussi, Baby.
Wo Wanda drauf steht, ist auch jede Menge Schnaps drin. Darauf ist auch beim zweiten Album Verlass. Den Bierzelt-Kracher „1, 2, 3, 4“ hat man den Wienern ja schon auf den Live-Konzerten verziehen. Und wenn sie auf dem Oktoberfest nächstes Jahr tatsächlich Lieder über traurige europäische Geister grölen, muss man wohl erst recht der Band Respekt zollen. Erst ab dem zweiten Titel kriegt man eine Ahnung, was das Wanda-Universum sein könnte: Es schwingt immer etwas wienerisch Morbides mit. Der Tod zu einer Melange vermischt mit jeder Menge Alkoholika und einer Prise Inzest. So einfach ist das Geheimrezept. Das kann man jetzt bescheuert finden, oder einfach nur genial. 
Michael Marco Fitzthum alias Marco Michael Wanda und seine Jungs scheinen dieses Geheimrezept entschlüsselt haben, wie man die deutschsprachige Gitarrenschrammelmusik entstauben und völlig auf den Kopf stellen kann. 
Wie bei jedem Hype gibt es inzwischen bereits Kritiker, die die ersten Haare in der Suppe entdeckt haben, und diese vom Haupt des Frontsänger zu kommen vermuten: So wie einst der große Falco, so sind sie überzeugt, versucht sich auch Wanda im Inszenieren von Skandalen. Und so kann es kein Zufall sein, dass die hübsche junge Dame im Bussi-Video niemand anderes ist als Ronja von Rönne, das, glaubt man dem Internet, deutsche Gesicht des Antifeminismus. Ein Wink mit dem Zaunpfahl also, dass Wanda mit frauenfeindlichen Texten die Jugend verderben will. Die inzestuösen Andeutungen und die Schnapshymen aus dem ersten Album, sowie das Koks aus demselben Lied, das hätte man der Band ja noch verzeihen können. Aber diese Ronja von Rönne in einem Video mitspielen lassen – da zeigen die Wiener Machos endlich ihre hässliche Fratze.
Man kann auch zum Spaß haben in den Keller gehen. Wanda sind, was sie sind. Eine Rockband mit genialem melodiösem Retrosound, Texten, die mal mehr, mal weniger Interpretationsspielraum für Skandälchen lassen, eine braune Lederjacke und einfach unfassbar viel Amore. Weiter so. 

Mehr zu Wanda:



PS:
In der Süddeutschen erschien ein kongenial geschriebener Verriss von Wanda, in dem sich die Autorin aber irgendwie ebenfalls nicht diesem schwarzen Zauber entziehen konnte:

Wem dieser Typ aber einmal nach Feuer gefragt hat und mit Zigarette im Mundwinkel genuschelt hat: "Ich bin der Marco, übrigens", der ist dieser Band einfach verfallen. So isses einfach. 

Donnerstag, 8. Oktober 2015

Warum Angela Merkel und Deutschland den Friedensnobelpreis verdient hätten

Die Stimmung kippt. Das Deutsche Sommermärchen ist vorbei. In den Medien lösen verstärkt Berichte von Missständen in Flüchtlingslagern und kriminellen Flüchtlingen jene von helfenden Bürgern und tatkräftigen Aktionskreisen ab.
Die Rechtskonservativen, die Pegida-Bewegungen, die besorgten Stammtischwutbürger haben wieder Oberwasser bekommen. Die Stimmung kippt.
Gerade jetzt wäre ein deutliches Zeichen von außen notwendig, um den deutschen Gutmenschen zu danken und dem Land den Spiegel vorzuhalten, was die letzten Wochen eigentlich geschehen ist. Der Friedensnobelpreis wäre ein politisches Signal dafür, dass dieses Land einen vielleicht irrationalen, aber einen richtigen Weg eingeschlagen hat. 
Wie kam es eigentlich dazu, dass ein reiches europäisches Land ohne Not die Grenzen für Flüchtlinge geflutet hat? Wie kommt es eigentlich dazu, dass dies als so außergewöhnlich gilt, dass man es als friedensnobelpreiswürdig statt als selbstverständlich betrachtet?
Die Jahre zuvor gab es ebenfalls Flüchtlingsströme. Nur wenige Flüchtlinge kamen bis Deutschland durch. Viele ertranken im Meer, wer es irgendwie an Frontec vorbei in die Festung Europa schaffte, wurde in erster Linie von Italien, Griechenland, den Mittelmeer-Anrainern aufgenommen. 
Schließlich die Bilder von überfüllten Zügen. Männer in Uniform, Familien mit Kindern, ausgezehrt und müde, auf Bahnsteigen wartend. Es sind Bilder, die jeder Deutsche fest verankert im Kopf hat. Allerdings in Schwarz-Weiß. Plötzlich sind die Bilder farbig. Und anstatt in eine Todesfabrik werden die Menschen nach München gebracht. Nach Dortmund. Nach Freilassing. Sie werden von Menschen empfangen, die ihnen Hilfe anbieten, die sich aufopferungsvoll kümmern, Nachtschicht für Nachtschicht. Wäre Auschwitz nicht ein Wort, das unter keinen Umständen in etwas Positives verwandelt werden kann, wäre man versucht zu schreiben, gerade geschieht ein umgekehrtes Auschwitz. Deutschland versucht, dem Schrecken seiner Vergangenheit etwas Gutes, etwas menschliches entgegenzusetzen. Deutschland versucht, das einzig moralisch richtige zu tun. Ohne Wenn und Aber. Horst Seehofer ist entsetzt.
Es wird psychologisiert, was nur in Angela Merkel gefahren ist. Warum es in Deutschland trotz Pegida-Bewegung und CSU so viel Hilfsbereitschaft gibt. Ob es die typische deutsche Selbstgeißelung ist, sich ein Flüchtlingsproblem ungeahnten Ausmaßes ins Land zu holen.

Es mag eine politisch irrationale Entscheidung sein, aber menschlich ist es schlicht und einfach die einzig richtige Entscheidung gewesen. Angela Merkel und tausende freiwillige Helfer haben sie getroffen. Und wenn das keinen Friedensnobelpreis wert ist, was sonst?

Montag, 5. Oktober 2015

Der Tod nach Venedig

Auf der Suche nach einem Fleck, der nicht schön ist
Letztens waren wir eine Woche in Kroation in Urlaub. Am besten hat es uns in Venedig 
gefallen. Venedig, die morbide Stadt am Lido, berühmt für den Tod in Venedig, für die schwarzen, Trauer tragenden Gondeln. Und auf der Rückfahrt sind wir dem Tod nach Venedig sogar noch recht nah gekommen. Jedenfalls hat es sich so angefühlt.
Doch zunächst habe ich Venedig vor dem Untergang gerettet. Mittags setzten wir uns zur Brotzeitpause an einen Brunnen. Da ich vorgewarnt war, dass in Venedig allein ein Espresso 18 EUR kostet, hatte ich mir einen ganzen Rucksack voller belegter Brote und Espressi aus der Thermoskanne vollgepackt. Da hab ich mir mindestens 1000 EUR gespart. Als wir ganz gemütlich Brotzeit machten, merkte ich, wie es im Abfalleimer neben mir zu qualmen begann. Irgendsoein Italiener oder Japaner oder so hatte seine Zigarette nicht vorschriftsmäßig ausgemacht und in den Papierkorb geworfen. 
Meine erste natürliche Reaktion war, unauffällig wegzugehen. Ich wars ja nicht, der Schuld ist, dass Venedig gleich abbrennt.
Im Gedenken an die Pest sind alle Gondeln schwarz
Dann hab ich aber das Gefühl gehabt, dass überall Überwachungskameras aufgestellt sind und hab mich durchgerungen, das knapp kalkulierte Trinkwasser in meinem Lunchpaketrucksack zu opfern. Im Wissen, dass in Venedig ein Mineralwasser sicher über 100 EUR kostet, schüttete ich das kostbare Nass heroisch über die Glut. 
Während ich mich noch selbst für meine Zivilcourage feierte, kam der Gastronom von gegenüber daher und goss weiteres Wasser aus einem Champagnerkübel über den Mistkübel. Vielleicht war es auch Champagner. Das war schwer zu erkennen. Jedenfalls zwinkerte er mir zu und sagte: „I saw, what you did“. Dann schüttelte er mir mit ernstem Blick die Hand und dankte mir auf italienisch für die Rettung der Stadt. Oder sowas in der Richtung, ich kann ja kein Italienisch. 
Das war also der Tag, an dem ich Venedig vor einer Brandkatastrophe bewahrt habe. Dabei, das ist mir erst später gekommen, ist ja nicht das Feuer der Feind der Stadt, sondern das Wasser. 


Der Markusplatz wurde nach Marco Polo, dem Erfinder
der Spaghetti benannt, dessen Gebeine von Kreuzrittern
in Alexandria geraubt wurden.
Nach der ganzen Aufregung haben wir einen Fleck gesucht, an dem Venedig nicht schön ist. Nach vier Stunden haben wir aufgegeben. Kann ruhig untergehen, die Stadt. So viel Schönheit hält ein normaler Mensch nicht aus.
Und dann sind fast wir untergegangen. Zurückgefahren sind wir mit der Prince of Venice. Einem Katamaran der, dies sei extra angeführt, der rührigen Schiffahrtsgesellschaft Kompass. Die haben mehrmals erwähnt, dass das Schiff in Australien gebaut wurde. Was allerdings nicht erklärt, ob das Schiff aus Altersgründen schon recht ramponiert war, oder wegen der weiten Überfahrt von der australischen Werft.
Jedenfalls hat bereits ein mittelmäßiger Seegang ausgereicht, dass das halbe Schiff seekrank wurde – sprich - kotzen musste. Um die kotzenden Passagiere zu beruhigen, hat der Kapitän, schließlich ein Live-Album eines kroatischen Schlagerstars á la Patrick Lindner abspielen lassen. Da musste dann ich beinahe kotzen. Irgendwann wichen die Kotzgeräusche Angstschreie, als der Prinz von Venedig immer heftiger gegen die Wellen krachte, hin und her geworfen wurde und an der Bar die ersten Gläser klirrten. Der Kapitän hat seinen Fahrgäste schließlich erklärt, dass er, um noch höheren Wellengang zu vermeiden, an der italienischen Küste entlangfahren wird. Was uns eine extra Stunde Zeit bescherte, um unseren Mageninhalt zu entleeren, das Best-Of Album des kraoatischen Schlagersängers zu genießen und Kindheitserinnerungen an Jesolo, Bibione und Caorle aufzufrischen.
Wir freuen uns schon auf unsere nächste Fahrt mit
einem Katamaran. Am liebsten direkt nach Australien.
Hoch anzurechnen ist dem Kapitän, dass er persönlich durch die Reihen ging, um Kotztüten auszuteilen und auch noch Scherze machte wie: „You need a sickness-bag?“ „Ja, bitte!“ „Macht zehn Euro. Hihihi!“ 
Als wir nach vier Stunden Todesangst endlich wieder in Kroatien ankamen, klang das Applaudieren der kreidebleichen Fahrgäste dafür, dass der Kapitän uns lebendig zurück gebracht hatte, ehrlich und aufrichtig. Ich habe nicht geklatscht, weil sich meine Finger so in die Kotztüte verkrallt hatten, dass ich die Handflächen nicht mehr zusammenbekam.
So war es rückblickend eigentlich gar nicht so schön in Venedig. Nächstes Jahr fahren wir nicht mehr nach Kroatien, sondern wieder nach Italien.

Dienstag, 22. September 2015

Die Leberkäs-Chroniken

Quelle: Wikipedia
Ich esse jeden Tag zwei Leberkäsesemmeln. Eine kalte zum Frühstück. Eine warme zum Mittagessen. Immer ohne Senf. Zu Hause oder auf Festen esse ich sie mit süßem Senf. Oder einfach Leberkäse pur mit Brezen und Kartoffelsalat. In der Arbeit esse ich das nicht, da esse ich wegen Hunger und nicht wegen Genuss. 
Früher hat eine Leberkäsesemmel eine Mark gekostet. Nach der Euroeinführung gab es in Leobendorf noch lange Jahre einen Metzger, der exakt 0,67 Cent, also genau eine Mark für die warme Leberkäsesemmel verlangt hat. Heute kostet eine beim Edeka mindestens 1,30 Euro. Ohne Senf. 
Es gibt Leute, vermutlich Handwerker, die ernähren sich ausschließlich von Leberkässemmeln. Mir ist ein Fall bekannt von einem Vater und seinem jugendlichen Sohn, die beide nach einer 50er Feier eine Woche lang nur die Leberkäsereste gegessen haben. Es soll ein sehr guter Leberkäse gewesen sein. Und beide haben von dem ganzen Leberkäse einen Gicht-Schub bekommen. 
Ein anderer Bekannter hat auf jeder Geburtstagsfeier warmen Leberkäse serviert. Außer auf seinem 30er. Da gab es Schweinebraten. Und auf der Hochzeit, da gab es Lachs und viele haben sich nach dem Leberkäse gesehnt. 
Ich kann mich noch gut erinnern, als ich als Austauschschüler in Amerika monatelang keinen Leberkäse gegessen habe. Zu Weihnachten habe ich mir einen gewünscht. Aber der hat komisch geschmeckt. Wie die McDonalds-Version von Leberkäse. Auch nach zwei Wochen in Ägypten haben wir uns, gleich nachdem wir vom Flughafen abgeholt wurden, als erstes einen anständigen Leberkäse gebacken. Die Araber essen anscheinend keinen Leberkäs.
Für mich ist Leberkäse mehr als ein Essen. Er ist Identitätsstiftend. Sagt einer, der zu zwei Drittel aus Leberkassemmeln besteht. 
Der Einfluss der Weißwurst wird in Bayern sowieso hoffnungslos überschätzt. Die kann man nur am Vormittag essen. Leberkäse allerdings zu jeder Tageszeit. Was drin ist, ist mir übrigens Wurst. Ich würd ihn auch essen, wenn Tofu drin wäre. Hauptsache, der Leberkäse schmeckt. 

Sonntag, 23. August 2015

Bayern – Heimat zwischen Genie und Wahnsinn

Sind die Bayern bierzeltborniert oder bunt und weltoffen –  eine Reflexion

Die Bayern, das sind diese latent rechtsideologisierten Leberkäsamigos, wohlhabend, traditionsorientiert und kampfeslustig, wenn jemand das bayerische in Bayern zu verwässern droht. Gleichzeitig gibt es in Bayern eine bunte Begrüßungskultur für Flüchtlinge, eine selbstbewusste Schwulenszene, eine teils bis in die Populärkultur vorgedrungene Musik- und Literaturavantgarde. Bayern ist erfolgreich, nicht nur in Sport und Wirtschaft. Was ist Bayern eigentlich? Der Spiegel hat sich in seiner aktuellen Titelgeschichte der bayerischen Zerrissenheit angenommen. Liest man den Artikel, hat man allerdings das Gefühl, er wurde von zwei „Preussn“ geschrieben. Hier also eine bayerische Selbstreflexion:
Den Zwiespalt kennen wir echten Bayern selbst. Während mir die Bierzelttrachtler ebenso wie die monarchistisch veranlagte Regierungspartei stets fremd geblieben sind, war ich im Ausland und im außerbayerischen Deutschland stets mit einem unergründlichen bajuwaren Heimatstolz glücklich über die Rolle, als „der Bayer“ zu gelten.
Zu Hause allerdings fühlte ich mich nie bayerisch, hatte 25 Jahre lang keine Lederhose im Schrank stehen, nur einmal, ein Anfängerfehler, beim Wahlgang der Regierungspartei ein Kreuzchen gemacht und war im Fußballverein der, dem das Bier nicht schmeckt. Wie zu Hause habe ich mich dennoch immer gefühlt. Vielleicht, weil ich in einem außergewöhnlichen Dorf aufwachsen durfte. Oder auch, weil Bayern tatsächlich beides ist: Traditionell borniert und weltoffen.
Das erfolgreichste Beispiel, wie man die bayerische Zerrissenheit in ein funktionierendes Konzept umwandeln kann, ist die Arbeit von Stefan Dettl. Der fast postkartenhafte Klischee-Oberbayer, sozialisiert im Trachtenverein, Blasmusiker und heimatverbunden, hat etwas geschaffen, das das neue Bayern perfekt repräsentiert: Zunächst mit seine Band LaBrassBanda, die Einflüsse von Balkanklängen und elektronischer Musik in ihre Blasmusik einfließen ließen und zu einem Popphänomen wurden. Mehr noch aber mit der Zeitschrift „Muh“, die äußerst lesenswert den schmalen bayerischen Grat zwischen selbstbeweihräuchernder Bayern-Nostalgie und aufrüttelnder Systemkritik bewältigt.
Denn auch das gehört zur bayerischen Kultur: Die Subkultur. Schwabinger Krawalle bis zurück zum Simplicissimus, der beißenden Münchner Satirezeitung für die Ludwig Thoma und Frank Wedekind gifteten.
Das Bayern in dem ich aufgewachsen war, war noch ein Land, in dem Frauen anonyme Telefondrohungen bekamen, wenn sie am Sonntag zur Kirche ein buntes Kleid trugen und 30-jährige Söhne von ihren Müttern verboten bekamen, sich mit anderen Frauen zu treffen. Schwarz und katholisch. Gleichzeitig begann eine Entwicklung, dass CSU-Bürgermeister grüne Politik betrieben, auf nachhaltigen Umweltschutz setzten und einen Grundstein legten, dass Jahre später die ersten syrischen Flüchtlinge mit Blasmusik und offenen Armen empfangen wurden.

Das alte und das neue Bayern hat sich längst vermengt. Wenn der beste Plattler am Ort ursprünglich aus der DDR stammt, keiner so bayerisch frotzeln kann wie ein Türke, ist das Land auf einem guten Weg, weiterhin Tradition und Moderne zu vereinigen.

Inzwischen darf ich über dieses Thema eine regelmäßige Kolumne schreiben. Sie heißt "Mein Alltag in Weißblau" und ist hier zu finden: https://www.chiemgauseiten.de/bernhard-strasser/mein-alltag-in-weissblau/

Donnerstag, 20. August 2015

Wo bleibt das nächste große Ding der jungen wilden Literatur?

Bücher, die ein Leben verändern, es gibt sie wirklich! Meines war "Garp und wie er die Welt sah" von John Irving. Seitdem wollte ich Schriftsteller werden und solche Geschichten schreiben.
Neulich habe ich einen Literaturagenten, der vor zehn Jahren die "20 unter 30", also die damals heißesten Jungautoren von Juli Zeh bis Sasa Stanisic prophezeit hat, gefragt, wer heute die heißeste 
Inspiriert von:
Kracht, Stuckrad-Barre, Ludwig Thoma
Literatur für junge Leute schreibt. Die Antwort war zwar zutreffend, leider aber auch die langweiligste aller Antworten: "Tschick und John Green". Gähn. Das ist ja sowas von 2012!
Gibt es denn aktuell keinen heißen Schriftsteller, ein "next big thing"?
Jetzt muss man wissen, dass sich auch die beiden genannten Großmeister an Vorbildern bedient haben: Wolfgang Herrndorf für Tschick zum Beispiel bei Mark Twains Huckleberry Finn. Oder John Green in "Schicksal ist ein mieser Verräter" bei Salingers Fänger im Roggen. 
Wo ist nun also der Autor, der sich von Tschick und John Green inspirieren lässt und etwas Neues, Aufregendes erschafft?
Ich hoffe auf Ronja von Rönne und ihrem Roman in Arbeit, aus dem sie schon beim Bachmannpreis in Klagenfurt gelesen hat. Klingt zwar sehr nach Christian Krachts "Faserland", kritisierte man, aber genau das ist der Grund, warum ich dem Buch so entgegen fiebere. 
In der Musik hat es zumindest in Österreich eine Band namens Wanda geschafft: Sie haben sich an den besten Vorbildern der 70er und 80er orientiert und dennoch einen neuen, umwerfenden Sound geschaffen. 
Wem wird das "Amore" der Literatur gelingen?
Wenn sich das nächste große Ding in der jungen Literatur andeutet, meldet Euch! Bis dahin trink ich erst mal einen Schnaps!

Mehr zum Thema auf www.chiemgauseiten.de

Montag, 17. August 2015

Das Geheimnis im Grab des Tutanchamun

Das Geheimnis im Grab des Tutanchamun 

Das Tal der Könige in den frühen Morgenstunden. Es sind erst wenige Touristen hier. Die Sicherheitsauflagen sind hoch. Keine Fotoapparate. Absolutes Fotografierverbot. 
Der Zugang zu den Gräbern ist streng reglementiert. Viele Grabkammern sind gesperrt. Unsere ägyptische Reiseführerin zeigt unserer Reisegruppe zwei Grabkammern. Eine weitere können wir optional besuchen. Wir klettern in Indiana Jones - Manier über Leitern die Felsen hoch und tief in den Fels des Gebirges hinein. Drinnen flackernde Funzen, modrige Luft aus dreitausend Jahren und die Reste der Sarkopharge.
Draußen im Wadi, wird noch immer im Wüstensand gegraben. Ob sie auf der Spur eines noch unentdeckten Grabmahles sind? 
Im Tal der Könige dürfen keine Fotos gemacht werden
Ich spreche die Reiseleiterin an. Ich will das Grab von Tutanchamun sehen. Sie zögert. Sagt, das kostet extra Eintritt. Ich sage, den zahle ich gerne. Sie sagt, im Grab sei nichts mehr zu sehen. Ich entgegne, das sei mir egal. Es ist immerhin das berühmteste Grab der Welt. Die restliche Reisegruppe verfolgt meine Diskussion, geht schließlich weiter und besichtigt ein anderes Grabmal. Wir zahlen den Eintritt für das erst 1922 von Howard Carter entdeckte Grab KV 62 und die Aufregung steigt.
Die Stufen, die hinab führen, lassen an die legendäre Geschichte der Entdeckung, der größten archäologischen Sensation bis heute, denken. 
Im Grab die Überraschung. Anders als von der Ägypterin behauptet, finden wir im Grab Spektakuläres vor: Nicht nur die wunderschönen Wandmalereien. Mehr noch. Der Steinsarkophag steht nach wie vor hier im Grab. Und darin einer der drei weltberühmten, unfassbar schönen vergoldeten Sarkophage. 
Völlig überrascht sind wir allerdings, als wir neben uns in einem Kühlkasten eine Decke entdecken, unter der zwei schwarze Beine hervorragen. Die Mumie des Pharao. 
Das Grab de Tutanchamun bleibt unsere eindrucksvollste Erinnerung aus dem Tal der Könige.
Warum wollte unsere Reiseleiterin verhindern, dass wir es uns anschauen?

Rekonstruktion des Königsgrabes
Heute weiß ich, dass jeder einzelne Besucher durch seine Anwesenheit dem Grab Schaden zufügt. Jeder Atemzug trägt dazu bei, dass die Wandbilder verblassen.
Die Antikenverwaltung handelt inzwischen und hat das berühmte Grab hochauflösend abfotografiert, um es den Besuchern virtuell zur Verfügung zu stellen und die Zahl der tatsächlichen Besucher des Grabes gering zu halten. 
Dabei ist einem dem Ägyptologen Nicholas Reeves aufgefallen, dass sich hinter den Wandmalereien weitere Durchgänge befinden könnten. (Hier ein sehr guter Artikel dazu)
Nofretete
Seitdem wird spekuliert, dass das untypisch aufgebaute und für einen Pharao viel zu kleine Grab nur die Vorkammern zum Grab der Nofretete ist.
Sollte sich dies bewahrheiten, stünde die nächste Sensation im KV62 bevor. 
Ich durfte mir damals einen Kindheitstraum erfüllen, das Grab des Tut Anch Amun zu besichtigen. Sollte ein weitere unberührtes Pharaonengrab entdeckt werden, würde es dem Land, dem Tourismus Ägyptens sicher gut tun. Noch steht es in den Sternen, ob ich meinen eigenen Kindern einmal ebenfalls das Tal der Könige zeigen kann. Und dann vielleicht auch KV63, das Grab der Nofretete.